Exerzitien mit P. Pius

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Unverdiente Güte

(25. Sonntag im Lesejahr A; Mt 20, 1 - 16a)

 

Ein kleiner Junge kommt am Abend in die Küche zu seiner Mutter, die gerade das Essen macht, und gibt ihr ein Stück Papier.

Die Mutter trocknet ihre Hände an ihrer Schürze ab und liest, was ihr Sohn auf den Zettel geschrieben hat:

 

Den Rasen gesprengt: 3 Mark!

Die ganze Woche mein Bett gemacht: 2 Mark!

Zum Kaufmann gegangen: 50 Pfennig!

Beim Autowaschen geholfen: 2 Mark!

Mit Brüderchen spazieren gegangen als du beim Frisör warst: 1 Mark

Das Unkraut im Garten ausgezupft: 2 Mark!

Im Rechnen eine „1“ geschrieben: 5 Mark!

Macht zusammen 15 Mark und 50 Pfennig!

 

Da stand der Kleine nun erwartungsvoll vor seiner Mutter.

Und tausend Erinnerungen kamen ihr in den Sinn.

So nahm sie einen Bleistift, drehte den Zettel um und schrieb darauf:

 

Ich trug dich neun Monate, dafür will ich keinen Pfennig!

Ich wachte an deinem Bett, dafür will ich keinen Pfennig!

Ich weinte um dich und auch dafür will ich keinen Pfennig!

Insgesamt kostet dich all meine Liebe von mir keinen Pfennig!

 

Als der Kleine das gelesen hatte, standen dicke Tränen in seinen Augen.

Er sah seine Mutter an und sagte: „Mami, ich hab dich so lieb.“

Dann nahm er den Bleistift und schrieb mit großen Buchstaben:

ALLES BEZAHLT!!

 

Wahrscheinlich kennen sie diese Geschichte, dieses Lied, das in den 70er Jahren gesungen wurde.

Egal was Sie davon halten, ob ihnen diese Geschichte gefällt oder nicht, es steckt auf jeden Fall eine gute Portion Lebensweisheit darin.

Nicht alles lässt sich aufrechnen. Freundschaft, Liebe, Treue, Güte, Hingabe lassen sich nicht verdienen und sind letztlich unbezahlbar.

Vieles im Leben ist reines Geschenk.

 

Und doch haben wir natürlich unsere Maßstäbe, wir vergleichen, stellen Rechnungen auf, haben Ansprüche und Forderungen.

Eine Hand wäscht die andere. Wer eine Leistung erbringt, will in der Regel den Gegenwert erhalten, in welcher Währung auch immer. Das gilt für Schulnoten genauso wie für die Autowäsche. Das gilt für das Gehalt und das Honorar genauso wie für die Handwerkerrechnung. Selbst bei Geschenken denken wir oft sofort an eine Gegenleistung und fühlen uns zu Dank verpflichtet. Wie du mir, so ich dir.

 

Wie wohltuend anders endet da die Geschichte von dem kleinen Jungen und seiner Mutter. Sie macht uns darauf aufmerksam, dass nicht alles verrechnet werden kann und darf. Es gibt auch das Gratis, das Umsonst, das „aus Liebe“.

„Insgesamt kostet dich all die Liebe von mir keinen Pfennig!“

Das gilt gerade auch für die wichtigsten und zentralen Bereiche menschlichen Lebens. Für Güte und Treue, für Vertrauen und Hoffnung kann es keine Preisschildchen geben, auch nicht für die Geduld, das Zuhören, das Zeithaben oder das Verzeihen.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Der Gutsbesitzer im heutigen Evangelium zahlt allen Tagelöhnern, egal ob sie 10 Stunden oder nur eine Stunde gearbeitet haben, den vollen Tageslohn. Alle bekommen einen Denar.

Gerecht ist das nicht. Der Gutsherr verstößt ganz klar gegen das Leistungs-Lohn-Prinzip. Den Unmut und Protest derer, die den ganzen Tag und dazu noch in größter Hitze gearbeitet haben, können wir gut nachvollziehen. Würden wir anders reagieren?

 

Nun, liebe Schwestern und Brüder, worum geht es im Evangelium?

Jesus will nicht sagen, wie Lohnpolitik und Tarifrunden heute aussehen sollen. Es geht nicht um unsere Gesellschaftsordnung. Es handelt sich vielmehr um ein Gleichnis vom Reich Gottes. „Das Himmelreich ist wie…“

 

Jesus will seinen Zuhörern damals und uns heute nahebringen, wie Gott ist und worin sein Sinnen und Handeln besteht, nämlich in einer umwerfenden, unbegreiflichen Güte.

 

Gott ist wie der Gutsbesitzer, der immer wieder den Weg zum Marktplatz auf sich nimmt, um Menschen zu werben, zu rufen und in seinen Dienst zu nehmen. Mit den ersten vereinbart er einen Denar als Lohn. Den anderen sagt er, dass er ihnen geben will, was recht ist. Bei der Lohnauszahlung am Abend bekommen auch die Arbeiter, die nur eine Stunde Arbeitsmöglichkeit hatten, also die mit schlechten Karten, die immer übrig geblieben sind, die Schwachen und Zukurzgekommenen den Tageslohn von einem Denar, das heißt ihren täglichen Lebensunterhalt. Er gibt ihnen das, was sie brauchen, um mit ihrer Familie davon leben zu können. Er tut es aus freien Stücken, ohne Gegenleistung. Er tut es aus Güte.

 

Soll er nicht gut sein dürfen, wann er will und sooft er will?

Ist dieses Gutsein Sünde? Liegt die Sünde nicht vielmehr bei denen, die sich beschweren? Sie sind neidisch. Sie sind noch am Vergleichen und Rechnen. Sie gönnen den anderen nicht, dass sie beschenkt werden, dass sie Güte erfahren.

Gott aber ist kein rechnender Geschäftspartner. Er ist mehr als gerecht. Er ist großzügig, weitherzig.

Gott ist gut. Er hat ein Herz für die Armen und Schwachen.

 

Wenn wir einmal die Perspektive nicht der Arbeiter der ersten Stunde einnehmen, die Rolle der Guten, der Frommen, der Leistungsstarken, sondern wenn wir uns einmal mit denen der letzten Stunde identifizieren, dann erfahren wir dieses Gleichnis als Frohe Botschaft. Dann dürfen wir uns glücklich schätzen, dass Gott ein Gott ist, der uns ruft und annimmt, auch wenn wir nicht viel vorzuweisen haben, ein Gott, der uns liebt, auch wenn wir nie genug geglaubt, gehofft, geliebt habe.

 

Brüder und Schwestern!

Sind wir nicht alle immer wieder in der Situation der Arbeiter, die über ihren Anspruch hinaus beschenkt werden? Sind wir nicht immer wieder angewiesen auf Gottes Güte, sein Erbarmen, seine Gnade?

 

Sehen Sie: Diese von Jesus erfundene Geschichte ist die wahrste Geschichte, die es gibt. Sie sagt uns:

Es gibt einen, dessen Liebe unser Messen und Rechnen weit hinter sich lässt. Es gibt einen, dessen Verhalten alle Maßstäbe irdischer Gerechtigkeit übersteigt. Es gibt einen, der nicht heimzahlt, sondern vergibt, der nicht nachrechnet, sondern schenkt, der nicht einheimst, sondern weggibt, der nicht kalkuliert, sondern gut ist, der nicht kleinlich ist und knausert, sondern großzügig und voll Liebe.

 

Das zu verkünden war das Anliegen Jesu.

Er selbst hat uns geliebt und sich für uns hingegeben.

Ist das nicht eine wahrhaft frohe Botschaft?

 

Wenn Gott so ist, wie Jesus ihn uns schildert, dann brauche ich keine Angst zu haben, auch wenn ich nicht viel vorzuweisen habe. Dann muss ich mir seine Liebe nicht sauer verdienen. Ich darf sogar mit leeren Händen zu ihm kommen. Ich darf auch mit meiner Schwachheit und meinem Versagen zu ihm kommen, und darf aufatmen und neue Hoffnung schöpfen. Denn Gottes Maß der Liebe ist maßlose Liebe.

 

Und wie der kleine Bub in der Anfangsgeschichte angerührt und überwältigt ist von der Liebe seiner Mutter und sich an ihr ein Beispiel nimmt, so können und sollen wir uns immer wieder neu öffnen und vom Geist Jesu berühren lassen, versuchen, immer mehr in seine Gesinnung hineinzuwachsen, seine Konturen anzunehmen, aus seiner Liebe zu leben und sie von ganzem Herzen weiterzugeben.

„Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist“, sagt Jesus. Und: „Liebt einander, wie ich euch geliebt habe!“

Gottes Liebe ruft unsere Liebe.

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