„Weißer Sonntag“,
so heißt der heutige Sonntag seit alter Zeit im deutschen Sprachraum.
Viele Kinder gehen an diesem Sonntag zum ersten Mal zur heiligen Kommunion.
Zum ersten Mal empfangen sie den Leib des Herrn. Und wir, die ihn vor
vielen Jahren empfangen haben, dürfen uns heute mit Freude und
Dankbarkeit an den Tag unserer Erstkommunion erinnern.
Liebe Mitchristen!
Seit dem Jahr 2000 hat
der heutige Sonntag noch einen zweiten Namen. Er heißt nämlich auch „Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit“. Papst Johannes Paul II.
hat ihm diesen Namen gegeben und den „Sonntag der göttlichen
Barmherzigkeit“ eingeführt.
Der Papst aus Polen
folgte damit einer Anregung der in Polen hochverehrten Ordensfrau und
Mystikerin Schwester Faustina Kowalska, (1905 – 1938). Diese Ordensschwester
lebte in einem Kloster in Krakau, wo Karol Wojtyla vor seiner Papstwahl
Erzbischof war.
Als Papst hat er dann Schwester
Faustina selig- und heiliggesprochen.
Schwester Faustina gegenüber
hat Jesus in einer Vision die Einführung dieses Festes der göttlichen
Barmherzigkeit gewünscht.
Dabei offenbarte ihr
Jesus, dass jeder sein Erbarmen erfährt, der ihn aufrichtig darum
bittet, wie viel er auch gesündigt haben mag und wie weit er sich auch
von Gott entfernt hat.
Denn bei Gott gibt es
immer einen Weg zurück. Bei ihm ist die Tür immer offen. Und es gibt
keine Sünde, die Gott nicht vergeben könnte. Seine Barmherzigkeit ist
größer als alle Schuld.
Diese Barmherzigkeit gilt
jedem Menschen, ja sie gilt der ganzen Welt.
Schwester Faustina hat in ihr
Tagebuch Worte, die Jesus zu ihr gesprochen hat, aufgeschrieben. Unter
anderem hat sie notiert:
„Die Menschheit wird
keinen Frieden finden, solange sie sich nicht mit Vertrauen an meine
Barmherzigkeit wendet.“
Sich voll Vertrauen an
Jesus wenden! Voll Vertrauen seine Barmherzigkeit anrufen! Der
Barmherzigkeit Gottes Vertrauen schenken, das ist es und darum geht es!
„Jesus, ich vertraue
auf dich“,
so hat Schwester Faustina gebetet.
Und so sollen, können und
dürfen auch wir beten: „Jesus, ich vertraue auf dich!“ Ich
vertraue deiner Liebe. Ich hoffe, baue und vertraue auf deine
Barmherzigkeit.
Liebe Mitchristen!
Der „Sonntag der
göttlichen Barmherzigkeit“ rückt einen der schönsten und
tröstlichsten Wesenszüge Gottes in den Blickpunkt, die Barmherzigkeit
Gottes, die ein ganz zentraler Aspekt der Liebe Gottes ist.
Papst Johannes Paul II.
hat 1980 in seiner zweiten Enzyklika, die den Titel trägt „Dives in
misericordia – Über das göttliche Erbarmen“ die Barmherzigkeit
Gottes als zentralen Aspekt der Liebe Gottes wunderbar herausgearbeitet.
Der charakteristischste
Zug in Gottes Wesen ist – wie der Papst nachweist – nicht dessen
Gerechtigkeit, Weisheit oder Allmacht, obwohl diese Eigenschaften zu
seinem Wesen gehören, nein, der markanteste Grundzug von Gottes Wesen
ist sein Erbarmen.
Das Thema der
Barmherzigkeit Gottes durchzieht – wie eine Grundmelodie – die gesamte
Heilige Schrift. Es gibt wohl auch kein anderes Wort der Bibel, das so gut
zum Ausdruck bringt, wie Gott ist und wie er sich uns in Jesus Christus
gezeigt hat.
Man denke nur an die
großartige Gotteserscheinung am Berg Sinai. Bereits da hat der Herr zu
Mose gesagt: „Jahwe ist ein barmherziger und gnädiger Gott,
langmütig, reich an Huld und Treue“ (Ex 34, 6).
Auch das Neue Testament
weiß um die Barmherzigkeit Gottes. Das große Lied des Magnifikat und
auch das Benediktus singen davon. Nicht zu vergessen das 15. Kapitel des
Lukasevangelium mit seinen drei Gleichnissen vom göttlichen Erbarmen,
besonders das Gleichnis vom verlorenen Sohn bzw. vom barmherzigen Vater.
Gott ist der „Vater des Erbarmens und allen Trostes“, heißt es im
2. Korintherbrief (1, 3).
Liebe Schwestern und
Brüder!
An Gottes barmherzige
Liebe zu glauben und sie anzunehmen, ist das eine; sie durch unser
eigenes Handeln sichtbar zu machen, ist das andere. Das göttliche
Erbarmen und barmherzige Handeln Gottes sucht Nachahmung und Echo bei
uns.
So sagt Jesus: „Seid
barmherzig wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist“ (Lk 6, 36)!
Im Gleichnis vom
barmherzigen Samariter stellt Jesus uns ein unübertreffliches Symbol
barmherziger Liebe vor Augen.
Mehrmals sagt Jesus (im
Anschluss an Hosea 6, 6): „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“.
In der Bergpredigt preist er die Barmherzigen selig und verspricht ihnen
Barmherzigkeit.
Sichtbar und gegenwärtig
wird das göttliche Erbarmen besonders in den Werken der Barmherzigkeit.
Die leiblichen Werke der Barmherzigkeit zusammen mit den geistigen
Werken der Barmherzigkeit sind so etwas wie die Kennzeichen, Prüfsteine
bzw. „Nagelproben“ der christlichen Liebe.
Unser Heil hängt der
Gerichtsrede Jesu bei Mt 25 zu Folge gerade auch davon ab, wie
barmherzig wir miteinander umgehen.
Was wir einem der
geringsten seiner Brüder und Schwestern getan haben, das haben wir ihm,
dem Herrn, getan.
Die Barmherzigkeit
konkretisiert sich vor allem in der Vergebung. Verzeihung ist die
Höchstform der Barmherzigkeit.
Diesbezüglich ist uns
Jesus selbst das große Beispiel, wenn er am Kreuz für seine Henker
betet: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“
(Lk 23,3 4).
Im Vater unser lehrt
Jesus uns beten: „Erlass uns unsere Schuld, wie auch wir sie unseren
Schuldnern erlassen haben“ (Mt 6, 12).
Wir sollen lernen zu
vergeben, wie Gott vergibt, siebenundsiebzig Mal, jedes Mal, ohne
Ausnahme. „Hättest nicht auch du Erbarmen haben müssen, wie ich mit
dir Erbarmen hatte“ (Mt 18, 33)?
Immer wieder gilt:
Erbarmen vor Recht. Denn wir alle leben von Barmherzigkeit und
Vergebung.
Als Johannes Paul II
seinen Attentäter Ali Aca im Gefängnis besuchte, hatte er ihm schon
längst vergeben. Hinterher sagte er: „Ich habe
mit ihm gesprochen, wie man mit einem Bruder spricht.“
Auch wenn es manchmal
schwerfällt: Seien wir immer wieder bereit zur Versöhnung! Seien wir die
ersten, die verzeihen!
Liebe Mitchristen!
Barmherzigkeit besteht
aus Wohlwollen und Wohltat.
Barmherzigkeit berechnet
nicht, sondern ist großzügig.
Barmherzigkeit geizt
nicht, sondern teilt und schenkt.
Barmherzigkeit heilt
Wunden und wärmt erkaltete Herzen.
Durch Barmherzigkeit wird
der Ausgestoßene zum Angenommenen, der Fremde zum lieben Gast, der
Feind zum Freund.
Barmherzigkeit macht uns
Jesus ähnlich. Barmherzigkeit lässt uns evangeliumsgemäß leben.
Barmherzigkeit macht unser Christsein überzeugend und glaubwürdig.
Übrigens, Johannes Paul
II. starb im Jahr 2005 am Vorabend des von ihm eingeführten Sonntags der
göttlichen Barmherzigkeit. Ein starkes Zeichen, finde ich. Und Papst
Franziskus sprach ihn 2014 zusammen mit Johannes XXIII. – nicht
zufällig, sondern ganz bewusst – am Sonntag der Barmherzigkeit – heilig.