geistliche Impulse

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Predigt

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Das "Neue Gebot"

(5. Ostersonntag - Lesejahr C; Joh 13, 31 - 35)

 

Zu den Worten, die am meisten missverstanden, ja missbraucht werden, gehört das Wort „Liebe“.

Philosophen und Psychologen reden davon, Schlager und Filmtitel, Romane und Gedichte – und natürlich die Bibel.

 

Im Evangelium heute sagt Jesus: „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander, wie ich euch geliebt habe.“

 

„Ein neues Gebot“, nennt es Jesus. Doch was ist daran neu?

Gab es das Gebot der Liebe nicht schon vor Jesus? Steht es nicht schon im Ersten Testament, sowohl das Gebot der Liebe zu Gott als auch das Gebot der Nächstenliebe?

Worin besteht also das Neue an diesem Gebot?

 

Neu und herausfordernd ist nicht das „Liebt einander“, sondern der Nachsatz: „Wie ich euch geliebt habe.“

In diesem Zusatz macht Jesus seine Liebe maßgebend.

Jesu Liebe, die Liebe, die er uns erwiesen hat, soll Maßstab und Richtschnur für unsere Liebe sein.

 

„Liebt einander. wie ich euch geliebt habe!“

Nicht allgemeine Nächstenliebe ist damit gemeint im Sinne von „Seid nett zueinander“, auch nicht, was man üblicherweise unter Humanität versteht, auch nicht nur „rechte Lebensführung“, sondern mehr, viel mehr: „Wie ich euch, so ihr einander“.

 

„Wie ich euch“. – Wie aber hat Jesus geliebt?

Wir können sagen: Er war ganz für andere da.

Das kleine Wörtchen „für“ ist in seinem Leben ein Hauptwort.

Sein Leben war Solidarität und Hingabe von der Krippe bis zum Kreuz. Er gab sich hin in seinem Leben und in seinem Sterben.

 

Der Apostel Paulus bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: „Christus hat uns geliebt und sich für uns hingegeben.“

Und Jesus selbst sagt: „Eine größere Liebe hat niemand als wer sein Leben hingibt für seine Freunde.“

Noch vom Kreuz herab hat er aber auch für seine Feinde gebetet und dem reumütigen Schächer das Paradies geöffnet.

Jesus hat seine Liebe auch und gerade denen erwiesen, die damals nichts galten, die verachtet waren, den Zöllnern und Sündern, den Kindern und Frauen, den Krüppeln und Aussätzigen, den Armen und Kranken.

 

„Liebt einander wie ich euch geliebt habe.“

Jesus spricht diese Worte, nachdem er an den Jüngern einen großen, zeichenhaften Liebesdienst vollzogen hat:

Er wusch ihnen die Füße, und zwar allen, auch dem Judas, der ihn kurz darauf verraten hat.

 

„Lieben wie er“ meint kein romantisches Gefühl.

Es heißt vielmehr: im Anderen das Ebenbild Gottes erkennen und sich für ihn klein machen, ohne die eigene Würde zu verlieren, die unverlierbar in Gott gründet.

 

„Lieben wie er“ heißt, sich voreinander in den Staub knien, um dem anderen, ob Freund oder Feind, Gottes hingebungsvolle Liebe erfahrbar zu machen.

 

Jesu Liebesbeweis erschöpft sich nicht in der Fußwaschung.

Seine ausgespannten Arme am Kreuz sind Zeichen seiner Liebe. Sein durchbohrtes Herz ist Zeichen seiner Liebe.

 

„Liebt einander wie ich euch geliebt habe.“

Wer kann so lieben? Ist das nicht zu viel verlangt? Sind wir da nicht hoffnungslos überfordert?

 

„Lieben wie er“: Ist das nicht eine Zumutung? Ja, es ist wohl die größte Zumutung des Christseins.

Wer sich nämlich – wie Jesus – liebend zwischen Erde und Himmel ausspannt, bleibt selbst nicht verschont.

„Lieben wie er“ bedeutet, zum Weizenkorn zu werden.

Es bedeutet, sich loszulassen um des Anderen willen. Sich loslassen im Vertrauen auf den, der durch alle Tode des Lebens hindurch Leben schenkt.

 

„Lieben wie er“. Gar nicht so leicht. Alles andere als einfach.

Auch wenn es nicht immer gelingt, auch wenn wir immer wieder dahinter zurückbleiben, dieses neue Gebot Jesu bleibt uns Christen aufgegeben. Es kann und darf uns nicht gleichgültig sein. Es ist ja gleichsam das Testament Jesu, sein Vermächtnis.

Wenn wir dieses Vermächtnis ernst nehmen, dann können wir nicht anders, als seine Liebe zu leben versuchen über alle Lieblosigkeit, allen Hass und Neid und Streit hinweg.

 

Prüfstein dieser Liebe sind nicht schöne Predigten, auch nicht kluge Gedanken oder gescheite Erklärungen. Prüfstein ist der Alltag. Prüfstein ist die praktisch gelebte Liebe inmitten der Mühsale und Belastungen des täglichen Lebens, inmitten der unausweichlichen Spannungen und Konflikten des Alltags.

„Liebe ist nicht nur ein Wort“, heißt es in einem neuen geistlichen Lied, „Liebe, das sind Worte und Taten.“

 

Zum Schluss sagt Jesus heute im Evangelium:

„Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr einander liebt.“

Ist die Liebe das Markenzeichen von uns Christen? Ist es unser Erkennungszeichen?

Über die ersten Christen in der Verfolgungszeit sagten ihre heidnischen Mitbürger: „Seht, wie sie einander lieben!“

 

„Liebt einander wie ich euch geliebt habe.“

Jesus traut uns zu, dass wir, die wir seinen Namen tragen, nicht nach den Maßstäben dieser Welt handeln, sondern uns an ihm ein Beispiel nehmen.

Jesus traut uns zu, dass wir, die wir zu ihm gehören, uns an dem orientieren, was er gesagt und getan und uns vorgelebt hat.

Er traut uns zu, Geduld zu üben, auch da wo es schwer fällt.

Er traut uns zu, einander zu ertragen und anzunehmen, auch da, wo uns jemand nicht so liegt.

Er traut uns das Verzeihen zu, nicht nur 7 mal, sondern 77 mal, jedes Mal, sogar dort, wo wir nicht schuld sind.

Nicht mehr „wie du mir, so ich dir“, vergelten, sich rächen, heimzahlen, sondern „wie ich euch, so ihr einander“.

 

Jesus traut uns zu, dass wir lieben, wie er geliebt hat, unabhängig davon ob jemand reich ist oder arm, angesehen oder verachtet, unabhängig davon ob jemand schön ist oder nicht, intelligent oder nicht, gesund oder nicht, unabhängig davon ob wir von jemandem profitieren oder nicht, ob uns jemand nützlich ist oder nicht.

 

Und wenn es schwer wird? Wenn wir an unsere Grenzen stoßen?

Dann ist es gut, wenn wir uns selber unter den Regenbogen der Liebe Gottes stellen, uns seiner Liebe öffnen, seine Liebe in uns aufnehmen, uns davon erfüllen und durchdringen lassen.

Gott hat uns zuerst geliebt. Seine Liebe ist ausgegossen in unseren Herzen durch den Geist, der uns gegeben ist.

 

Wenn es schwer wird, dann dürfen wir um den Beistand und die Kraft von oben bitten. „Entzünde in uns das Feuer deiner Liebe!“

Inspiriere und motiviere uns zu lieben, wie du uns geliebt hast.