geistliche Impulse

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Predigt

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Kirche einst - Kirche heute

(2. Ostersonntag Lesejahr C - Apg 1; 12 - 16)

 

ERSTE LESUNG                                                                                                  

Immer mehr wurden im Glauben zum Herrn geführt, Scharen von Männern und Frauen

 

Lesung aus der Apostelgeschichte

12Durch die Hände der Apostel geschahen viele Zeichen und Wunder im Volk. Alle kamen einmütig in der Halle Salomos zusammen.

13Von den Übrigen wagte niemand, sich ihnen anzuschließen; aber das Volk schätzte sie hoch.

14Immer mehr wurden im Glauben zum Herrn geführt, Scharen von Männern und Frauen.

15Selbst die Kranken trug man auf die Straßen hinaus und legte sie auf Betten und Bahren, damit, wenn Petrus vorüberkam, wenigstens sein Schatten auf einen von ihnen fiel.

16Auch aus den Nachbarstädten Jerusalems strömten die Leute zusammen und brachten Kranke und von unreinen Geistern Geplagte mit. Und alle wurden geheilt.

 

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Haben Sie noch die 1. Lesung im Ohr, die aus der Apostelgeschichte?

Was hatten Sie für einen Eindruck, als Sie da die Beschreibung des Lebens und der Situation der Urgemeinde in Jerusalem hörten?

Ich frage mich, ehrlich gesagt, ob das alles so stimmt, ob das wirklich so war. Mir kommt das ziemlich dick aufgetragen vor. Eigentlich zu schön, um wahr zu sein. Werden da die christlichen Anfänge nicht ganz stark idealisiert? Verklärt da Lukas 30/40 Jahre später nicht die sogenannten guten alten Zeiten?

 

Umgekehrt kann einem beim Hören dieser Lesung aus der Apostelgeschichte auch der Seufzer aus der Seele aufsteigen: Wenn’s doch heute bloß auch so wäre! Oder zumindest so ähnlich wie damals?

 

Damals: „Immer mehr wurden im Glauben zum Herrn geführt, Scharen von Männern und Frauen.“Damals: ein enormer Aufschwung, Aufbruch, Neuanfang. Gemeindegründungen in Palästina, Kleinasien, Griechenland und in Rom. – Damals, es klingt fast euphorisch, „geschahen durch die Hände der Apostel viele Zeichen und Wunder im Volk“. Es heißt sogar: „Alle wurden geheilt.“ Klingt das nicht übertrieben?

Außerdem ist von großer Einmütigkeit die Rede. Anscheinend gab es keine Auseinandersetzungen und internen Konflikte, keinen Zwietracht, kein Streit, sondern Einheit, große Geschlossenheit, ein ganz starkes Gemeinschaftsgefühl.

 

Und heute? Wie sieht es da aus, zumindest hierzulande?

Glaubensschwund, wachsender Glaubensverlust. Entchristlichung der Gesellschaft, nicht nur Entkirchlichung, sondern auch Entchristlichung. Immer ungünstigere Bedingungen für die Weitergabe des Glaubens. Das religiöse Klima fehlt. Das Umfeld wird immer heidnischer, gottloser.

Dazu der gravierende Mangel an Priester- und Ordensberufen. Aber auch Gläubigenmangel. Immer leerere Kirchenbänke. Immer mehr, die der Kirche den Rücken zukehren.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Machen wir uns nichts vor: Die Volkskirche ist passé. Die gibt es längst nicht mehr. Das Interesse am Christentum nimmt ab. Dafür wird der Islam immer heimischer und stärker. Die Kirchen erleben einen massiven Imageverlust. Kirchenmüdigkeit macht sich breit.

Wenn dann auch noch Affären und Skandale dazukommen – Bau- und Finanzskandale wir in Limburg oder Eichstätt und besonders schlimm, der Missbrauchsskandal, die schrecklichen Missbrauchsfälle – dann geht innerhalb von wenigen Wochen zugrunde, da geht in kurzer Zeit kaputt, was über Jahrzehnte mühsam aufgebaut wurde. Damit einher geht ein massiver Glaubwürdigkeitsverlust der Kirche. Und das kratzt am Selbsbewusstsein der Gemeinden und der einzelnen Gläubigen.

 

Doch geben wir selbst der Kirche noch eine Chance? Der Jesus-Bewegung hier bei uns, der Gemeinschaft der Gläubigen hier und heute?  Oder ist die Krise – wie für das Volk Israel der Aufenthalt in der Wüste – auch ein Ort der Läuterung, der Reinigung?

 

Was wir heute meines Erachtens brauchen, sind „Dennoch-Christen“ bzw. „Trotzdem-Christen“, Christen, die nicht blind sind für die gegenwärtige kirchliche Situation, und trotzdem bleiben. Menschen, die mit der Kirche fühlen, vielleicht auch an ihr leiden, und die dennoch nicht gehen! „Dennoch-Trotzdem-Christen“. Gläubige, die trotz Finanzaffären und Missbrauchsfällen immer noch zur Kirche gehen, zu ihr stehen, ihre Mitarbeit nicht aufkündigen, sondern – dennoch und trotz allem – der Kirche die Treue halten, sich einbringen, sich engagieren, in den Pfarreien aktiv sind und ein lebendiges Gemeindeleben mitgestalten. „Dennoch-Trotzdem-Christen“! Menschen, die nicht austreten aus der Kirche, sondern auftreten in der Kirche!

 

Was wir brauchen ist ein neues missionarische Bewusstsein, eine neue Evangelisierung, ein offensives Christentum. Auch zur Zeit der Apostel und der frühen Christen hat sich der Glaube nicht durch Leisetreterei, falsche Rücksichtnahme und scheue Zurückhaltung ausgebreitet, sondern dadurch, dass die Christgläubigen ihren Glauben nicht verborgen hielten, sozusagen im Safe versteckten und aufbewahrten, sondern sich mutig dazu bekannten, davon Zeugnis gaben, auch wenn es ihnen Nachteile und Spott, Diffamierung und Diskriminierung einbrachte.

 

Allerdings: Nur Ergriffene ergreifen. Nur Überzeugte können überzeugen. Nur selbst Angezogene können andere anziehen und anstecken. In mir selbst muss brennen, was ich in anderen entzünden möchte. So gesehen, kann jeder und jede dazu beitragen, dass der Glaube Kreise zieht, übergreift, sich ausbreitet und wächst.

 

Wichtig ist, dass wir uns nicht einbunkern und uns nicht hinter bunte Kirchenfenster zurückziehen – kein Sakristei-Christentum! –, dass wir vielmehr – von IHM gesandt – hinausgehen, die Netze wieder und wieder auswerfen, säen, säen und nochmal säen – auch wenn viel der Anstrengung und Mühe vergeblich scheint und so viel der Saat auf harten Boden und in die Hecken fällt oder von den Vögeln aufgefressen wird.

Seine wir gewiss: Auch heute fällt ein Teil auf guten Boden, auch heute gibt es Menschen, die suchen und fragen, die offene Hände und ein offenes Herz haben.

 

Noch etwas: In der frühen Kirche war auch nicht alles Gold, was glänzt. Glauben wir das bloß nicht! Der kurze Abschnitt aus der Apg ist nur ein Fragment. Schon damals gab es äußere Bedrohungen und innere Gefährdungen. Und wenn wir in der Apg weiterlesen oder auch in die Briefe des Apostels Paulus schauen, dann ist da auch von Meinungsverschiedenheiten, Parteiungen und Streit die Rede. Von wegen heile Welt!

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Heute wie damals geschieht die Ausbreitung des Glaubens dort, wo es heilsame Begegnungen zwischen Menschen gibt, wo Unterdrückung der Befreiung weicht, wo Licht und Hoffnung in Dunkelheit und Angst aufleuchten, wo Liebe gegen alle Lieblosigkeit und Glaube und Vertrauen gegen alle Perspektiv- und Sinnlosigkeit vermittelt wird.

 

Heute wie damals sind die Gründe für die Ausbreitung und Anziehungskraft des Glaubens die gleichen: Zeichen des Heiles und der Heilung, der Geist der Einheit und Liebe, die Glaubwürdigkeit derer, die sich Christen nennen und die Gemeinschaft der Kirche bilden.

 

Denken wir daran: „Christus hat keine Hände, nur unsere Hände, um seine Arbeit heute zu tun. Er hat keine Füße, nur unsere Füße, um seine Botschaft zu den Menschen zu bringen. Er hat keine Lippen, nur unsere Lippen, im Menschen von ihm zu erzählen.“

Christus will gegenwärtig sein in unserer Zeit durch uns.

 

(Einige Gedanken und Formulierungen verdanke ich einer Predigtvorlage von Daniel Hönermann)