geistliche Impulse

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Predigt

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Die fünf klugen und fünf törichten Jungfrauen

(32. Sonntag im Lesejahr A; Mt 25, 1 - 13)

 

EVANGELIUM                                                                                                   

Der Bräutigam kommt! Geht ihm entgegen!

 

Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus

In jener Zeit erzählte Jesus seinen Jüngern das folgende Gleichnis:

1Mit dem Himmelreich wird es sein wie mit zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und dem Bräutigam entgegengingen.

2Fünf von ihnen waren töricht, und fünf waren klug.

3Die törichten nahmen ihre Lampen mit, aber kein Öl,

4die klugen aber nahmen außer den Lampen noch Öl in Krügen mit.

5Als nun der Bräutigam lange nicht kam, wurden sie alle müde und schliefen ein.

6Mitten in der Nacht aber hörte man plötzlich laute Rufe: Der Bräutigam kommt! Geht ihm entgegen!

7Da standen die Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen zurecht.

8Die törichten aber sagten zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, sonst gehen unsere Lampen aus.

9Die klugen erwiderten ihnen: Dann reicht es weder für uns noch für euch; geht doch zu den Händlern und kauft, was ihr braucht.

10Während sie noch unterwegs waren, um das Öl zu kaufen, kam der Bräutigam; die Jungfrauen, die bereit waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal, und die Tür wurde zugeschlossen.

11Später kamen auch die anderen Jungfrauen und riefen: Herr, Herr, mach und auf!

12Er aber antwortete ihnen: Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht.

13Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.

 

Wenn ich eine Predigt vorbereite, schaue ich mich gern um, was andere zu den biblischen Texten des betreffenden Sonntages gesagt oder geschrieben haben. Oft bekomme ich dabei ganz gute Impulse und Gedankenanstöße.

Diesmal bin ich auf eine Predigt gestoßen, von der ich dachte, die ist so gut, so fantasievoll, die ist im Aufbau und Gedankengang so gelungen und treffend, die kann ich mir voll und ganz zu eigen machen, die kann ich ohne Weiteres übernehmen.

Die Predigt stammt von Wolfgang Raible. Er ist Klinikseelsorger in Stuttgart. Hier ist sie:

 

Gleichnis mit Variationen

 

Verkündigung des Evangelium bis zum Vers 10: „…und die Tür wurde zugeschlossen.“

 

An dieser Stelle möchte ich kurz unterbrechen und Sie bitten, Platz zu nehmen. – Jetzt will ich Ihnen die Geschichte zu Ende erzählen:

 

Nach einer Weile kamen die gedankenlosen Jungfrauen mit den brennenden Lampen zurück und begannen, ans Tor zu klopfen.

„Öffnet uns!“ riefen sie und baten, aber die verständigen Jungfrauen drinnen lachten. „Es geschieht euch recht“, antworteten sie, „jetzt ist das Tor geschlossen, geht eure Wege.“ Doch sie weinten und baten: „Öffnet uns, öffnet!“ Und da…

Jesus hielt inne und lächelte.

„Und da…?“, fragte Nathanael, der mit offenem Mund zuhörte… „Und da, Rabbi, was geschah da“?

„Was würdest du tun, wenn du der Bräutigam wärst, Nathanael?“ fragte Jesus…

Nathanael schwieg. Er sah noch nicht ganz klar, was er tun sollte.

Teils wollte er sie fortjagen…, teils taten sie ihm leid und er wollte ihnen öffnen…

„Was würdest du tun, Nathanael, wenn du der Bräutigam wärst?“ fragte Jesus von neuem…

„Ich würde öffnen…“, sagte er leise…

„Recht getan, Nathanael“, sagte Jesus froh und streckte seine Hand aus, als ob er ihn segnete…

Das Gleiche tat auch der Bräutigam. Er rief den Dienern zu: „Öffnet das Tor, dies ist eine Hochzeit, alle sollen essen und trinken und fröhlich sein! Lasst die gedankenlosen Jungfrauen hereinkommen und sich die Füße waschen, denn sie sind weit gelaufen!“

 

Wie gefällt Ihnen dieser Schluss?

Mir ausgesprochen gut! Er bestätigt das Bild eines gütigen Gottes, den Jesus uns immer wieder vor Augen stellt:

  • wenn er die Geschichte vom barmherzigen Vater erzählt, der dem verlorenen Sohn alle Türen öffnet und ihn wieder in sein Haus aufnimmt;

  • wenn er mehrmals das Wort des Propheten Hosea aufgreift: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“,

  • wenn er uns den Rat gibt: „Bittet, dann wird euch gegeben, klopft an, dann wird euch geöffnet.“

Ich finde diesen Schluss außerordentlich sympathisch.

Er hat nur einen Schönheitsfehler: Von diesem „Happy End“ steht nämlich nichts in der Bibel. Er stammt aus dem Roman „Die letzte Versuchung“ von Nikos Kazantzakis, dem großen griechischen Schriftsteller, der durch „Alexis Sorbas“ weltberühmt wurde.

 

Ich möchte einen zweiten Versuch machen, das Gleichnis zu Ende zu erzählen:

 

Als der Bräutigam das Klopfen hört, ließ er sich berichten, was geschehen war. Dann zog er die Brautjungfern mit dem Reserveöl zur Rechenschaft und sagte: „Warum habt ihr euer Öl nicht mit den anderen geteilt?“

„Es hätte weder ihnen noch uns gereicht“, antworteten sie.

Darauf entgegnete der Bräutigam: „Ist nicht das Teilen viel wichtiger als das Licht selbst?“

Und er öffnete die Tür, schickte die Brautjungfern weg, die nicht bereit waren, ihr Öl zu teilen, und lud die anderen zu seiner Hochzeitsfeier ein.

 

Auch diese Variante finde ich sehr gelungen.

Das ist der Jesus, den wir kennen. Das entspricht dem, was Jesus den Menschen immer wieder ans Herz legt:

  • wenn er die Geschichte vom barmherzigen Samariter erzählt und zur Hilfsbereitschaft auffordert;

  • wenn er sagt: „Wer dich bittet, dem gib, und wer von dir borgen will, den weise nicht ab“;

  • wenn er deutlich macht, dass unsere Barmherzigkeit der einzige Maßstab ist, an dem unser Leben gemessen wird:

„Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben… Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“

 

Ein Jesus, der Solidarität predigt und vor Egoismus warnt – das passt. Nur leider finden sich diese Schlusssätze auch nicht im Evangelium, sondern bei Hermann-Josef Venetz, einem fantasievollen Schweizer Neutestamentler.

 

Das echte Ende der Geschichte ist hart und wenig herzlich:

 

Später kamen auch die anderen Jungfrauen und riefen: „Herr, mach uns auf!“ Er aber antwortete „Amen, ich sage euch: „Ich kenne euch nicht. Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.“

 

Diese Version ist unbequem und provozierend.

Und sie gibt uns, gerade vor dem Hintergrund der beiden anderen Versionen, zwei wichtige Impulse.

Der Erste: Vertrau auf einen gütigen Gott, aber bleibe wach für seinen Anspruch!

Er ist nicht nur der liebe und barmherzige, der verzeiht und ein Auge zudrückt, sondern immer auch der fordernde und aufrüttelnde Gott, der ernstgenommen und gehört werden will; der uns fragt, was wir aus unseren Möglichkeiten gemacht haben; der uns stört in unserer Bequemlichkeit und Gleichgültigkeit.

Und der zweite Impuls: Teile, so viel du kannst, aber nicht die Verantwortung für dein Leben!

Für deinen Ölvorrat – um im Bild zu bleiben – bist du ganz allein verantwortlich. Die Grundausrichtung deines Lebens, deinen persönlichen Lebensentwurf, deine Ziele, deine Werte kannst du nicht borgen und ausleihen.

Verhindern, dass du die Ölkrise kriegst und dein geistliches Leben langsam ausbrennt, dass dein Christsein nur noch auf Sparflamme brennt – das kannst nur du allein.

Zeigen, dass du Feuer gefangen hast und dich für die Sache Jesu begeisterst, dass das Licht deines Glaubens leuchtet – das kann dir niemand abnehmen.

Ob du die Öl-Tankstellen Gottesdienst, Gebet oder gute Gespräche über Bibel und Glauben nützt, ob du deinen Ölstand regelmäßig prüfst und Reserven anlegst – das liegt allein an dir.

 

Alle drei Schlussversionen zum Gleichnis von den zehn Brautjungfrauen passen zu Jesus, zu seiner Botschaft vom gütigen Gott und seiner Aufforderung zum Teilen.

Die Impulse der unbequemen dritten hinterlassen den tiefsten Eindruck:

Vertrau auf einen gütigen Gott, aber bleib wach für seinen Anspruch!

Teile, soviel du kannst, aber nicht die Verantwortung für dein Leben!