geistliche Impulse

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Predigt

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Was kann uns scheiden von der Liebe Christi?

(18. Sonntag im Lesejahr A; Röm 8, 35. 37 - 39)

 

„Was kann uns scheiden von der Liebe Christi?“

Diese Frage stellt der Apostel Paulus am Anfang der zweiten Lesung. „Was kann uns scheiden von der Liebe Christi?“

 

Ehrlich gesagt: gäbe es nicht vieles, was uns von ihr trennen, von ihr weglocken, von ihr wegführen könnte?

Für uns mag es anderes sein als für Paulus.

Auf die Frage: „Was kann uns scheiden von der Liebe Christi?“ fragt er und zählt auf: „Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert?“

 

Und dann gibt er selbst die Antwort:

„All das überwinden wir durch den, der uns geliebt hat.“

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Das ist nicht nur so dahergeredet, blauäugig, fromm. Der Apostel weiß, wovon er spricht. Was hat er nicht schon alles mitgemacht und am eigenen Leib erfahren? Leiden und Nöte vielfältiger Art!

 

Im zweiten Korintherbriefe (11. Kapitel) wird Paulus einmal ganz konkret und zählt auf:

“Strapazen mehr als genug, Kerkerstrafen die Menge, Misshandlungen im Übermaß und wie oft in Todesnot! -Von den Juden habe ich fünfmal empfangen die vierzig Streiche weniger einen, dreimal bin ich ausgepeitscht, einmal gesteinigt worden, dreimal habe ich Schiffbruch erlitten, einen Tag und eine Nacht trieb ich auf offener See. - Und auf allen meinen Wanderungen: Gefahr von Flüssen, Gefahr von Räubern, Gefahr von meinem eigenen Volk, Gefahr von den Heiden, Gefahr in der Stadt, in der Wüste, auf dem Meer, Gefahr unter falschen Brüdern. - In Mühe und Not, in durchwachten Nächten wie oft! In Frost und Blöße. - Und dann: Der tägliche Andrang zu mir, die Sorge für alle Gemeinden. - Wo ist einer schwach und ich bin es nicht auch? Wo muss einer leiden und ich leide nicht mit?“

 

Harte Fakten von Ohnmacht, Niederlagen, Scheitern, Grenz- und Leiderfahrungen, stocknüchtern aufgezählt, ohne zu dramatisie­ren oder zu verharmlosen.

 

„Was kann uns scheiden von der Liebe Christi?“

Am Schluss der heutigen Lesung gibt Paulus auf diese Frage, klar und eindeutig Antwort:

Nichts! Rein gar nichts kann uns scheiden von der Liebe Christi!

Keine Gewalt, keine Macht, nicht einmal der Tod, diese letzte, unerbittliche und unausweichliche Wirklichkeit im Leben jedes Menschen.

 

„All das überwinden wir durch den, der uns geliebt hat!“

Das ist das dankbare Fazit, das Paulus gegen Ende eines langen, entbehrungsreichen, von Gefahren, Widerständen und Enttäuschungen geprägten Lebens zieht.

 

Sehen Sie, liebe Mitchristen!

Für Paulus ist – seit dem Damaskuserlebnis – die Liebe Christi zum unverrückbaren Pol seines Lebens geworden.

An dieser Liebe zweifelt er nicht trotz vieler misslicher äußerer Lebensumstände. Ja, in dieser Liebe weiß er sich geborgen.

 

Diese Liebe hat ihn nicht vor Nöten und Gefahren bewahrt, aber sie hat ihn gestärkt, sie hat ihm Kraft gegeben. Er blieb nicht bewahrt vor allem Leid, aber in allem Leid.

 

Können wir, liebe Mitchristen, was Paulus von sich sagt, auch von uns sagen? Kann ich es von mir sagen?

Können wir seine Haltung uns zu eigen, zu unserer eigenen Haltung machen?

Spüren wir, wie diese Lesung, dieses Bekenntnis des Paulus für uns zu einer Anfrage wird?

 

Auch uns soll nichts von Christus trennen: Keine Schwierigkeiten innerer oder äußerer Art, weder Nöte des Leibes noch der Seele; nicht die Erfahrung des Bösen, nicht die Versuchung, nicht die Schuld; weder die Angst vor der Zukunft, noch Sorgen und Probleme der Gegenwart.

Seien wir mit Paulus gewiss: auch wenn so vieles einen traurig werden lassen kann oder verzweifeln lassen mag, seien wir ge­wiss: hinter unserem Leben steht eine große und gütige Macht, hinter unserem Leben steht Gott. Er allein ist letzter Halt.

 

Im Grunde geht es bei all dem um Vertrauen, um das Vertrauen, dass man sich auf die Liebe Gottes verlassen, dass man sich darauf felsenfest stützen kann.

 

Romano Guardini stellt einmal die Frage: „Was ist denn sicher? So sicher, dass man darauf leben und sterben kann?“

Seine Antwort: „Die Liebe Christi!“

Und er fährt fort: „Das Leben lehrt uns, dass dieses Letzte nicht Menschen sind, und seien es die Besten und die Liebsten; auch nicht Wissenschaft oder Philosophie oder Kunst, oder was sonst Menschenkraft hervorbringt... Sicher ist nur die Liebe Christi... Und was sonst feststeht – da, wo es sich um ewiges Leben und ewigen Tod handelt – steht fest von ihr her.“

 

Guardini hat eine ähnliche Erfahrung gemacht wie Paulus.

Der eine sagt: „Die Liebe Christi ist das Sicherste!“

Der andere: „Nichts kann uns scheiden von der Liebe Christi!“

Aus beidem spricht ein fester Glaube, ein großes Vertrauen auf die Liebe Gottes.

 

„Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist, unserem Herrn“

Jemand hat diese Zeilen des Völkerapostels das „paulinische Siegeslied von der Erlösung“ genannt.

 

In der Tat, eine tiefe Freude und große Zuversicht, ja Gewissheit über Gottes Liebe und Treue zum Menschen klingt in diesen Worten des Paulus.

 

Diese Freude in Christus relativiert die Härte unseres Alltages nicht. Sie täuscht nicht über Ausweglosigkeit und Ohnmacht hinweg. Sorgen, Nöte und Probleme werden dadurch nicht belanglos. Aber wir brauchen daran nicht zu zerbrechen. Wir können mit ihnen fertig werden und sie meistern, weil sie nicht das Letzte sind. Das Letzte und Sicherste ist die „Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Wenn Sie mich fragen würden: „Liebst du Gott?“ dann würde ich innehalten. Und unsicher und zögernd würde ich antworten:

„Ich weiß nicht. Ich kenne meine Grenzen. Ich weiß um meine Schwächen. Ich sehe, wie oft ich hinter der Liebe zu Gott zurückbleibe. Wirklich lieben, mit einer ganz reinen, ganz lauteren Liebe, das kann ich nicht sagen. Aber eines weiß ich ganz gewiss, da bin ich ganz sicher, dass Gott mich liebt! Darauf vertraue ich, daran glaube ich felsenfest!“

 

Ehrlich gesagt, ich wüsste nicht, von welcher Hoffnung ich leben sollte, wenn ich davon nicht überzeugt wäre. – Ich wüsste nicht, wofür ich leben und arbeiten sollte, wenn ich darauf nicht immer wieder mein Vertrauen setzen würde! – Meine ganze Hoffnung liegt darin, dass Gott Gott ist, dass er die Liebe ist und dass ich der Liebe Gottes trauen kann und an sie glauben und auf sie hoffen darf.