geistliche Impulse

www.pius-kirchgessner.de

Predigt

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Durch Berührung Heil und Heilung finden

(23. Sonntag - Lesejahr B; Mk 7, 31 - 37)

 

„Man brachte einen Taubstummen zu Jesus und bat ihn, er möge ihn berühren.“

Wo wurden Sie in den letzten Tagen berührt?

Beim Abschied von zu Hause?

Bei einer Begrüßung, bei einem Wiedersehen?

Ein herzlicher Händedruck, ein aufmunterndes Schulterklopfen, eine liebevolle Umarmung?

Wir können uns berührt fühlen durch Musik, ein Gedicht, eine Erzählung, einen Blick, eine Landschaft, ein Abendrot, durch ein Bild, ein Wort…

 

Man brachte einen Taubstummen zu Jesus und bat ihn, er möge ihn berühren.

Wo wurden Sie heute innerlich berührt?

Was hat Sie angesprochen? Wo haben Sie Betroffenheit gespürt?

Was ist Ihnen so wichtig geworden, dass es Sie jetzt noch bewegt?

 

Die Voraussetzung einer jeden Berührung ist Offenheit und Begegnung.

Berührung geht nicht ohne Nähe. Ich muss jemanden oder etwas an mich herankommen lassen.

Es braucht Vertrautheit, Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und Ehrfurcht.

 

Wie heilsam sich Berührung auswirken kann, sehen wir immer wieder in der Begegnung Jesu mit Menschen:

Zum Beispiel: Jesu zärtlicher Umgang mit Kindern. Er lässt sie zu sich kommen, er nimmt sie auf seine Arme, er segnet sie.

 

Immer wieder wird berichtet, dass Jesus Kranke berührt, dass er sie ganz nah an sich heranlässt, dass er ihnen die Hände auflegt:

Das geschieht zum Beispiel bei der Heilung der Schwiegermutter des Petrus oder der gekrümmten Frau. Im Augenblick der Berührung vermögen sich beide aufzurichten.

 

Jesus lässt sich auch berühren. Er hat keine Berührungsängste:

Zum Beispiel von der Sünderin im Haus des Pharisäers Simon, die ihn salbt, sich über seinen Füßen ausweint, sie küsst und mit ihren Haaren trocknet.

Dem Apostel Thomas hat Jesus gestattet seine Wundmale zu berühren.

Dadurch kommt er seinem Nicht-Glauben-Können, seinen Zweifeln, seiner Skepsis entgegen.

 

Oder denken wir an die blutflüssige Frau, die Heilung erfährt, als sie auch nur den Saum des Gewandes Jesu berührt.

Gerade die Heilungsgeschichten zeigen, wie viel Lebensenergie Berührung freisetzen kann und welche „Dynamik“ dabei in Gang kommt.

 

Berührung kann Menschen neue Lebenskraft schenken: die Hand halten, jemanden in den Arm nehmen, über den Kopf oder den Rücken streicheln.

All das tut gut, all das tröstet und ermutigt, es ist helfend, heilend, befreiend.

 

In den Exerzitien möchte uns Gott berühren, möchte uns ganz nahe kommen. In der stillen Zeit, im Gebet, bei der Meditation sind wir eingeladen, uns von ihm berühren zu lassen durch einen Impuls, durch ein Wort, ein Symbol, ein Bild.

Wie spricht da Gott zu mir?

Höre ich seine Stimme? Bin ich offen, wach, hellhörig?

Oder bin ich zu, verschlossen, besetzt, taub, stumpf?

 

Jesus möchte in diesen Tagen der Stille und der Meditation nicht nur meine Ohren erreichen, sondern mein Innerstes, mein Herz.

Bin ich bereit, mich auf ihn einzulassen?

Bin ich bereit, ihn bei mir einzulassen, ihn aufzunehmen, ihn bei mir wohnen zu lassen?

 

Auch im Evangelium heute geschieht Heilung durch Berührung:

 

Zunächst nimmt Jesus den Taubstummen beiseite.

Er will keine Zurschaustellung. Er nimmt ihn weg von der Menge, weg von den Gaffern, weg vom Gerede, vom Geraune, dem Urteilen und Verurteilen. Vielleicht will er ihn auch vor Neugier schützen.

Jedenfalls wendet sich Jesus ihm allein zu. Er hat jetzt Zeit für diesen einen. Durch diese Sonderbehandlung erfährt der Taubstumme eindrücklich, wie kostbar, wie wichtig er für Jesus ist. Er fühlt sich ernstgenommen, angenommen, wertgeschätzt.

 

Jesus nimmt den Taubstummen nicht nur von der Menge weg, sondern auch vom Lärm und führt ihn in die Stille. Er will ihn zu sich selbst, zu seinem wahren Wesen finden lassen.

Es braucht Zeit und Raum, es braucht Stille und Schweigen, um zu sich selbst zu finden. Darum sind Stille und Schweigen bei Exerzitien so notwendig und heilsam.

 

In der Stille erfahren wir, wie laut es in uns ist, wie viel Unruhe es in uns gibt, wie viele Zwänge uns gefangen halten.

In der Stille kann uns aufgehen, wie verschlossen, wie unerlöst wir sind, wie sehr wir der heilsamen Berührung und des heilenden Wortes bedürfen.

In der Stille erfahren wir, dass wir selbst im Grunde unseres Herzens jener Taubstumme sind:

der Taube, weil unser Herz vielleicht hart und eng geworden ist;

der Stumme, weil wir bei all unserem Reden oft genug nichts Wesentliches zu sagen haben. So vieles ist überflüssig und Geschwätz.

Je nachhaltiger uns all das in der Stille bewusst wird, umso mehr wächst in uns die Sehnsucht, Jesus zu begegnen und seine heilende Kraft zu spüren.

 

Es braucht allerdings Zeit, viel Zeit und viel Raum, bis die vielen, verschiedenen Stimmen im Innern zur Ruhe kommen:

die Stimmen der Sorgen und Ängste, der Pflicht, der Vorurteile, des Misstrauens, der Schuldgefühle und Minderwertigkeit.

Es braucht viel Zeit bis die vielen äußeren Stimmen schweigen und die innere Stimme, die Stimme der tiefen Sehnsucht gehört werden kann.

Das ist die Chance der Exerzitien: Wie der Taubstumme mit Jesus allein sein, seine heilende Nähe spüren, seine wohltuende Gegenwart wahrnehmen.

 

Dann steckt Jesus dem Taubstummen die Finger in die Ohren:

Er berührt ihn ganz konkret, handgreiflich, um zu lockern, was da starr und festgefahren ist; um zu lindern, was schmerzt; um zu heilen, was verwundet ist.

Jesus legt seine Finger auf die wunde Stelle. Genau dort, wo jener Mensch leidet, erfährt er durch die Berührung heilende Energien, die von Jesu ausgehen: Wärme, Zärtlichkeit, Vertrauen.

 

In den Exerzitien sind wir eingeladen, unsere Sorgen, unseren Schmerz, unser Ängste, unsere wunden Stellen, unsere Verletzungen Gott hinzuhalten und uns von ihm heilsam berühren zu lassen.

 

Der Mann in unserer Heilungsgeschichte war taub. Jesus steckte ihm die Finger in die Ohren.

In den Exerzitien sind wir eingeladen, wirklich zu hören, das zu hören, was Gott uns sagen möchte.

Ein Vater hat mir erzählt, dass es ihm, wenn er am Computer arbeitet, wiederholt passiert ist, dass er sein Kind nicht hört, wenn es ruft und schreit.

Wir sind oft so mit uns selbst beschäftigt, dass wir überhören, wenn Gott uns ruft.

Wir müssen, statt nach außen zu hören, zuerst lernen, nach innen zu hören, auf die leise Stimme Gottes in unserem Herzen, in seinem Wort, in den Begegnungen mit den Menschen und in den Geschehnissen des Alltags.

Gott spricht viel mehr als wir meinen!

 

Anschließend berührt Jesus die Zunge des Mannes mit Speichel.

Das kann eine zärtliche Geste sein, fast wie ein Kuss.

Er kommt ihm liebevoll nahe wie eine Mutter, die mit Speichel das Kind berührt, um seine wunden Stellen zu heilen. Speichel galt in der Antike als sehr heilkräftig. Jedenfalls geschieht auch bei dieser Geste Heilung in körperlicher Nähe, in äußerster Intimität.

 

Der Mann ist nicht nur taub. Er ist auch stumm, sprachlos. Es fehlen ihm die Worte.

Reden kann man nicht befehlen. Da muss erst eine Atmosphäre von Geborgenheit und Angenommensein entstehen, bevor sich die Zunge lösen kann und einer wirklich auszusprechen wagt, was ihn bewegt. Da muss erst Vertrauen wachsen, dann kann die Wahrheit ins Wort kommen.

 

Dann blickt Jesus zum Himmel auf.

Jesus sieht die Not dieses Menschen und er wendet sich für den Kranken zum Himmel, zum Vater. Er holt göttliche Kraft von oben für sein Tun.

Wenn Jesus zum Himmel aufblickt, dann stellt er sich auch selber hinein in den Raum, in den Urgrund seines eigenen Vertrauens. Er bindet sein Handeln an den Willen und das Wirken Gottes zurück.

Jesus möchte unseren Blick in den Exerzitien zum Himmel lenken.

Indem wir in den Exerzitien Jesus auf neue Weise begegnen im Gebet, in der Meditation, in der Stille, kann sich der Himmel über uns auftun. Und auf einmal klären sich die Dinge, Leben ordnet sich, Wandlung geschieht, Schweres wird leichter, Bitteres verliert seinen herben Geschmack, ins Dunkel kommt Licht. Das Herz wird weit. Und auf einmal können wir vielleicht wieder neu ja sagen zu unserem Leben. Und wir wissen: es ist gut, wie es ist, denn Gott ist da. Er ist immer bei mir.

 

Als letztes seufzt Jesus. Er stöhnt auf.

Es ist keine einfache Sache, einen verschlossenen Menschen zu öffnen, ihn zu heilen. Seufzen, das meint eine Kraftanstrengung.

Jesus kämpft um mich, damit ich mich wirklich für Gott entscheide, damit ich frei werde von Fesseln, von falschen Abhängigkeiten, von verkehrten Anhänglichkeiten und Neigungen, die dem gelebten Evangelium widersprechen.

Jesus kämpft um mich, damit ich ausbreche aus meinen inneren Gefangenschaften, dass ich Gott wirklich einlasse in mein Leben.

Er kämpft mit meiner Verschlossenheit, mit meinem Stummsein, mit meiner Taubheit, dass ich mich mit allen Sinnen für Gott öffne.

 

Erst als ohne Worte, nur durch Gesten, eine Brücke gebaut und ein Raum vertrauender Nähe entstanden ist, kommt das erlösende und befreiende Wort.

 

Jesus sagt zu dem Taubstummen: „Effata - Öffne dich!“

Es ist wie ein Gebet, wenn Jesus dieses Wort spricht.

 

Die Begegnung mit Jesus will all meine Sinne öffnen für Gott:

meine Ohren, dass ich Gottes Stimme neu vernehme; meine Augen, damit sie in allem Gott erkennen; meinen Tastsinn, damit ich in Sonne und Wind Gottes zärtliche Liebe wahrnehme.

Und es ist mehr noch als das Ohr und der Mund das Herz, dem auch bei den Exerzitien das „Effata“ gilt.

 

Heilung geschieht durch vertrauende Nähe.

Wenn wir bereit sind, uns der Nähe, die Jesus schenkt, zu öffnen, kann auch an uns Heil und Heilung geschehen.