geistliche Impulse

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Predigt

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Du bist doch verrückt!

(10. Sonntag - Lesejahr B; Mk 3, 20 - 35)

 

EVANGELIUM                                                                                        

Das Reich des Satans hat keinen Bestand

 

+Aus dem heiligen Evangelium nach Markus

In jener Zeit

20ging Jesus in ein Haus, und wieder kamen so viele Menschen zusammen, dass er und die Jünger nicht einmal mehr essen konnten.

21Als seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen.

22Die Schriftgelehrten, die von Jerusalem herabgekommen waren, sagten: Er ist von Beelzebub besessen; mit Hilfe des Anführers der Dämonen treibt er die Dämonen aus.

23Da rief er sie zu sich und belehrte sie in Form von Gleichnissen: Wie kann der Satan den Satan austreiben?

24Wenn ein Reich in sich gespalten ist, kann es keinen Bestand haben.

25Wenn eine Familie in sich gespalten ist, kann sie keinen Bestand haben.

26Und wenn sich der Satan gegen sich selbst erhebt und mit sich selbst im Streit liegt, kann er keinen Bestand haben, sondern es ist um ihn geschehen.

27Es kann aber auch keiner in das Haus eines starken Mannes einbrechen und ihm den Hausrat rauben, wenn er den Mann nicht vorher fesselt; erst dann kann er sein Haus plündern.

28Amen, das sage ich euch: Alle Vergehen und Lästerungen werden den Menschen vergeben werden, so viel sie auch lästern mögen;

29wer aber den Heiligen Geist lästert, der findet in Ewigkeit keine Vergebung, sondern seine Sünde wird ewig an ihm haften.

30Sie hatten nämlich gesagt: Er ist von einem unreinen Geist besessen.

31Da kamen seine Mutter und seine Brüder; sie blieben vor dem Haus stehen und ließen ihn herausrufen.

32Es saßen viele Leute um ihn herum, und man sagte zu ihm: Deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und fragen nach dir.

33Er erwiderte: Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder?

34Und er blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder.

35Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.

 

 

Was ist die bequemste Art einen „Störenfried“ loszuwerden oder einen, der einem nicht passt, abzutun?

Ganz einfach: Man erklärt ihn für verrückt.

 

Anstatt sich mit ihm argumentativ auseinanderzusetzen, hält man ihm vor:

„Du bist doch wohl nicht ganz sauber? Du tickst wohl nicht mehr richtig? Oder: Der ist doch total bescheuert!“

 

So ergeht es im heutigen Evangelium auch Jesus. Er wird genau in diese Ecke gestellt:

Nicht voll zurechnungsfähig für das, was er sagt und tut.

 

„Er ist von Sinnen“, d.h. neben der Kappe, nicht mehr ganz nor­mal, übergeschnappt, verrückt. – So sagen die Verwandten Jesu, die eigens kommen, um ihn – wenn es sein muss auch „mit Gewalt“ – zurückzuholen, zurück in den Schoß der Familie, zurück in die Normalität, zurück in den Rahmen der Tradition, zurück zu dem, wovon sie meinen, so ist es richtig und so gehört es sich.

 

Die Schriftgelehrten setzen noch einen drauf.

Diese halten Jesus sogar für besessen, vom Teufel besessen.

„Mit Hilfe von Beelzebul, dem obersten der Teufel“, so behaupten sie, „treibt er die Dämonen aus.“

 

In den Augen der Verwandten: verrückt!

Nach dem Urteil der Theologen: im Bund mit dem Satan.

 

Zwei Schubladen. Nicht eigentlich schuldig oder böse oder gar kriminell, aber doch gefährlich! Denn er tritt mit einer ganz neuen Lehre auf. Er hält sich nicht an die Ordnung. Er heilt am Sabbat. Er vergibt Sünden, was nur Gott allein zusteht. Er isst mit Zöllner und Sündern! Unmöglich! Er bricht sämtliche Tabus. Er schmeißt die Käufer und Verkäufer aus dem Tempel. Er stiftet Verwirrung.

 

Man muss ihm das Handwerk legen! Man muss ihn aus dem Verkehr ziehen, rasch und unauffällig!

 

Wie reagiert Jesus?

Auf zweifache Weise:

Bei den Schriftgelehrten geht er zum Gegenangriff über.

Ihnen gegenüber argumentiert er, dass der Satan – bei all seiner Verblendung – keineswegs so dumm ist und gegen sich selber kämpft. Man kann nicht im Namen des Teufels Teufel austreiben. Ein Unding. Das widerspricht sich. „Jedes Reich, das in sich uneins ist, zerfällt.“

Die Kritik seiner Gegner greift nicht, sie geht ins Leere.

Außerdem: Jesu Heilswerk als Teufelswerk abzustempeln, verrät eine gehörige Verkennung und eine abgrundtiefe Bosheit.

 

Und seine Verwandten?

Ihnen gegenüber ist Jesus nicht ganz so scharf, aber doch sehr entschieden. Er distanziert sich von ihnen. Er relativiert die Blutsverwandtschaft.

Im Reich Gottes, das er verkündet, sind die Bande des Blutes zweitrangig. – Mutter, Schwester, Bruder, das sind für ihn die Menschen, die sich einlassen auf ihn und seine Botschaft; Menschen, die den Mut haben, ja zu sagen zur Torheit einer bedingungslosen Liebe, zur Torheit einer neuen Menschlichkeit, und schließlich zur Torheit einer Gewaltlosigkeit, die sogar dem Feind verzeiht und die unter Umständen das eigene Leben kostet.

 

Der entscheidende Satz lautet: „Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“

 

Solche Menschen, denen Gottes Wille mehr bedeutet, als die Normen erstarrten bürgerlichen oder kirchlichen Tradition, sind seine wahren Verwandten. Für solche Menschen vertauschen sich die Maßstäbe. Was der Welt töricht erscheint, wird ihnen zur Weisheit. Was der Welt schwach erscheint, wird ihnen zur Kraft.

 

„Verrückt!“ – „Besessen!“

Ist es Franz von Assisi nicht ähnlich ergangen?

„Il pazzo“ – „Narr“ riefen ihm die Leute nach und hetzten Hunde auf ihn, als er in Assisi bettelnd von Tür zu Tür ging, nachdem er sich radikal von seinem Vater losgesagt und vor dem Bischof auf alles verzichtet hatte, sogar auf seine Kleider.

 

Auch Elisabeth von Thüringen hatte, obwohl Landgräfin, auf der Wartburg einen schweren Stand und wurde für übergeschnappt, für verrückt erklärt, wenn sie Tag für Tag nach Eisenach hinunterstieg, um die Armen zu speisen und die Frierenden zu kleiden, wenn sie im Hungerjahr die Getreidespeicher öffnete, ihr Geschmeide verkaufte und alles hergab, um den Hunger zu lindern, oder wenn sie bei gedecktem Tisch in Hungerstreik trat, wenn et­was von den Speisen auf der Tafel aus Erpressung oder anderen unrechtmäßigen Quellen stammte. Kein Mensch am Hof hat das verstanden. Man hat nur den Kopf geschüttelt, sich geärgert oder sich über sie lustig gemacht. Und als ihr Mann auf dem Kreuzzug an einer Seuche gestorben war, war für sie keine Bleibe mehr am Hof. Vertreibung? Flucht? Es blieb ihr nichts anderes übrig, als die Wartburg und damit die höfische Gesellschaft zu verlassen.

 

Wird Jesus auch in unserer Zeit Menschen finden, die so in ihn und seine Sache „vernarrt“ sind, dass ihnen das Urteil ihrer Um­gebung gleichgültig ist, Menschen, für die nur zählt, was Gott will und die ihr ganzes Leben nach ihm und seinen Weisungen aus­richten, egal was ihre Umgebung denkt und sagt?

 

„Du bist doch verrückt, dich für einen kirchlichen Beruf zu entscheiden! Du bist doch verrückt, die Miete nicht zu erhöhen, obwohl du viel mehr herausschlagen könntest! Du bist doch verrückt, dich nicht scheiden zu lassen, wo du doch mit Sicherheit schon bald wieder einen anderen findest.“

 

Was Kritiker uns vorwerfen, ist nicht, dass wir Christen heißen, sondern dass wir es nach dem Beispiel Christi zu wenig sind. Hierin liegt das Dilemma.

Als der große indische Staatsmann Mahatma Gandhi das christliche Evangelium las, war er vor allem von der Bergpredigt so fasziniert, dass er überlegte selbst Christ zu werden.

Der Anblick des „gelebten Christentums“ hielt ihn zurück.

 

Doch gehen wir nicht immer wieder den bequemeren Weg, passen uns an, finden Ausreden, suchen Kompromisse und machen Abstriche?

 

Vielleicht sollten wir wieder mehr Mut haben, „verrückt“ zu sein, und die Botschaft Jesu an den Platz zu rücken, wo sie hingehört, in die Mitte unseres Lebens als den Maßstab und die Richtschnur für unser Denken, Reden und Tun.

 

„Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter!“

Unmissverständliche Worte, die auch heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren haben.

Nehmen wir sie zu Herzen! Und richten wir unser Leben danach aus!