Evangelium
Sie werden von Osten und
Westen und von Norden und Süden kommen und im Reich Gottes zu Tisch sitzen
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Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas
In jener Zeit
22zog
Jesus auf seinem Weg nach Jerusalem von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf und
lehrte.
23Da
fragte ihn einer: Herr, sind es nur wenige, die gerettet werden? Er sagte zu
ihnen:
24Bemüht
euch mit allen Kräften, durch die enge Tür zu gelangen; denn viele, sage ich
euch, werden versuchen hineinzukommen, aber es wird ihnen nicht gelingen.
25Wenn
der Herr des Hauses aufsteht und die Tür verschließt und ihr draußen steht, an
die Tür klopft und ruft: Herr, mach uns auf!, dann wird er euch antworten: Ich
weiß nicht, woher ihr seid.
26Dann
werdet ihr anfangen zu sagen: Wir haben doch in deinem Beisein gegessen und
getrunken und du hast auf unseren Straßen gelehrt.
27Er
aber wird euch erwidern: Ich weiß nicht, woher ihr seid. Weg von mir, ihr habt
alle Unrecht getan!
28Dort
wird Heulen und Zähneknirschen sein, wenn ihr seht, dass Abraham, Ísaak und
Jakob und alle Propheten im Reich Gottes sind, ihr selbst aber ausgeschlossen
seid.
29Und
sie werden von Osten und Westen und von Norden und Süden kommen und im Reich
Gottes zu Tisch sitzen.
30Und
siehe, da sind Letzte, die werden Erste sein, und da sind Erste, die werden
Letzte sein.
Wer hat Anteil am Reich
Gottes? Wer wird – bildhaft gesprochen – einmal an jenem Tisch sitzen, der die
Menschen aus allen Himmelsrichtungen vereint und an dem die großen Gestalten der
Geschichte Israels, die Stammväter und die Propheten, ihren festen Platz haben?
– Mit den Worten eines Zeitgenossen Jesu gefragt: Wer wird gerettet? Oder mit
unseren Worten: Wer kommt in den Himmel? Und wer in die Hölle? Sind es viele
oder sind es wenige? – Die Frage stellte sich zur Zeit Jesu umso dringlicher,
als es im Judentum eine Tradition gab, die überzeugt war, dass die
Gottesherrschaft nur für wenige sei. Und auch in der Geschichte der Kirche
begegnet mehrfach die Überzeugung, dass ein großer Teil der Menschheit in die
Verdammnis eingehen werde.
Wer eine eindeutige Antwort
von Jesus erwartet, wird enttäuscht. Wohl deutet er an, dass viele es versuchen
werden, durch die „enge Tür“ in Gottes Reich hinein zu kommen, denen es nicht
gelingt. Doch eine Auskunft über eine konkrete Zahl gibt er nicht. Stattdessen
spielt er den Ball zurück: Fragt nicht nach den anderen, sondern schaut auf euch
selbst! Stellt keine Vermutungen an! Spekuliert nicht, sondern bemüht euch,
strengt euch an, ins Reich Gottes zu kommen!
Ganz deutlich haben die Worte
Jesu appellartigen Charakter. Sie informieren nicht darüber, wer gerettet wird
und wer nicht, sondern sie ermahnen und rufen auf zum Handeln hier und jetzt. –
Wer freilich dazu nicht bereit ist, wer gegen solche Mahnung resistent ist, wird
die Konsequenzen tragen müssen, die das Wort vom Heulen und Zähneknirschen
anschaulich bündelt. Umgekehrt aber: Wer im Geiste Jesu lebt und handelt, passt
durch die Tür: Diese Zusage lässt aufatmen.
Gleichzeitig stockt jedoch
der Atem angesichts der nachfolgenden Gleichnisrede: Demnach verschließt der
Herr selbst die Tür und kennt die Anklopfenden nicht. – Eine rein äußerliche,
nur vordergründige Zugehörigkeit zu Jesus Christus reicht offensichtlich nicht
aus. Das bloße Miteinander-Essen oder die Tatsache, ihn als Lehrer gehört zu
haben, genügt nicht. – Woran denkt Lukas hier? Spielt er an auf eine bloß äußere
Teilnahme am Gottesdienst und am gemeinsamen Mahl, eine bloß äußere Teilnahme,
die vom sonstigen Hadeln oder Lebensstil nicht gedeckt ist? Gab es so etwas zu
seiner Zeit? Oder hat Lukas vorausgeahnt, dass es einmal ein
Taufscheinchristentum geben werde, eine formale Zugehörigkeit zur Kirche und
damit auch zu Jesus Christus, die sich weder in der entsprechenden inneren
Haltung noch durch das äußere Handeln ausdrückt? – Uns kann er ja doch nicht
etwa meinen, die wir doch vorne dran sind in der Gemeinde, regelmäßig im
Gottesdienst, gute Christen eben?
Allerdingst: „Manche von den
ersten“ werden die letzten sein und umgekehrt. Wir haben jedenfalls keinen
Grund, uns allzu sicher zu fühlen. Umgekehrt sollten wir uns vor vorschellen
Urteilen hüten. Wer die „manchen“ sind, wissen wir nicht.
Diese
Predigtgedanken verdanke ich einer Vorlage von Sabine Pemsel-Maier |