geistliche Impulse

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Predigt

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Der beste Augenblick

 

 

 

 

Es lebte einmal ein junger Mann, der täglich über den Sinn der Welt nachgrübelte. Um in seine Zweifel Klarheit zu bringen, suchte er schließlich einen alten Weisen auf, der in einem weit entfernten Wald lebte. Der Meister fragte ihn, was ihn herbeigeführt habe. Und er berichtete, dass er nach dem Kostbarsten sucht, was ein Mensch tun könne, um Gott nahe zu kommen.

 

„Was hast du auf dem Weg hierher getan?“ fragte ihn der Meister. „Ich habe geschwitzt“, sagte der junge Mann, „denn der Weg auf die Höhe war steil, ich geriet außer Atem und hatte großen Durst. Aber ich habe versucht, die Beschwerden des Weges geduldig zu ertragen.“

„Was hast du noch getan?“ – „Ich habe meditiert, wie ich es täglich tue.“ – „Was hast du noch getan?“ – „Ich habe einem alten Mann sein Bündel Holz ins Dorf getragen. Es war für mich ein Umweg, aber ich sah, dass der Alte zu schwach für die Last war.“

„Was hast du noch getan?“ – Der junge Mann zögerte, dann sagte er: „Ich habe eine Weile auf einem Stein gesessen und mit dieser Glaskugel gespielt. Verzeih, dass ich mich damit aufhielt!“

 

„Bei welcher Beschäftigung fühltest du dich am leichtesten?“ fragte der Meister. – Der Jüngling sah den Alten ratlos an und sagte: „Beantworte mir bitte meine Frage. Ich kam doch mit einem Anliegen zu dir.“ – Der Meister wiederholte, als habe er den Einwand nicht gehört: „Bei welcher Beschäftigung fühltest du dich am leichtesten?“ – „Beim Spiel mit der Kugel“, sagte der junge Mann beschämt, „da war ich ganz leer und fröhlich, ich hatte keine Gedanken und Sorgen.“ – „Das war der beste Augenblick dieses Tages“, sagte der Meister, „als du dem Spiel hingegeben warst. Das Spiel ist ganz leicht und zugleich ganz ernst, darum ist es der Gottheit nah.“ (Rosemarie Habert-Bottländer)

 

Die Geschichte kann uns verwundern.

Will Gott nicht, dass wir arbeiten? Will Gott nicht, dass wir täglich beten oder meditieren? Will Gott nicht, dass wir anderen helfen und Gutes tun? – Selbstverständlich erwartet er das von uns.

Natürlich ist das alles Gott wohlgefällig.

 

Aber die Geschichte sagt unmissverständlich:

Gott hat auch am Spiel, am Absichtslosen und Zweckfreien sein Gefallen. Es gefällt ihm, wenn wir, die Macher, die Gehetzten, die vielfach Geforderten und oft Überforderten, wenn wir die Abgekämpften, die Ermüdeten und Erschöpften, uns hinsetzen, ausruhen, uns Erholung gönnen, wenn wir tun, was uns Freude macht, wobei wir uns wohlfühlen. Die Geschichte sagt: Gott hat daran sein Gefallen. Ja, dann sind wir Gott sogar sehr, sehr nahe.

 

Von dem indischen Dichter R. Tagore stammt das Wort: „Gott achtet mich, wenn ich arbeite; aber er liebt mich, wenn ich spiele.“

 

„Gott achtet mich, wenn ich arbeite“, das heißt, er will keine Faulenzer. Er will, dass wir einer Arbeit nachgehen, schaffen, Geld verdienen. Aber Gott verlangt von uns nicht, dass wir den ganzen Tag nur arbeiten, von morgens bis nachts, auch noch nach Feierabend und am Wochenende, jahraus, jahrein.

Er will uns gar nicht immer nur bei der Arbeit sehen.

Wir sind nicht erst dann vor ihm wertvoll, wenn wir viel machen, arbeiten und schaffen. Wir stehen nicht erst dann bei ihm gut da, wenn wir viel leisten und viel fertig bringen.

 

„Gott liebt mich, wenn ich spiele“, sagt der Dichter.

Das heißt: Gott freut sich, wenn ich mir mal Zeit nehme für mich selbst, Zeit für zweckfreies Tun, wo nichts dabei herauskommen muss, Zeit, um zu mir selber zu kommen, auszuspannen, Zeit für Erholung und Muße.

 

„Gott liebt mich, wenn ich spiele.“

Und gerade dann, so sagt der alte, weise Mann dem jungen in der Geschichte, gerade dann, wenn wir ausruhen, singen, spielen, tanzen, unbeschwert und fröhlich sind, gerade dann sind wir Gott ganz nahe.

 

In unserem Alltag sind wir meist beschäftigt, in Beschlag genommen, eingespannt und angespannt. Da zerrt so vieles an uns. Da muss man das noch und jenes. Die Arbeit frisst uns fast auf. Jede Minute ist verplant. Wir fühlen uns wie in einem Hamsterrad. Manchmal rotieren und funktionieren wir nur noch.

 

„Gott liebt mich, wenn ich spiele.“

Der Urlaub gibt uns die Chance, einmal nichts zu müssen, uns frei und unbeschwert zu fühlen, zu tun oder zu lassen, was man selber will und wonach einem zumute ist, zu singen und zu spielen, zu wandern und zu baden…, ohne allen Druck.

 

Oder die Natur zu genießen, Gottes gute Schöpfung.

Sie ist wie ein aufgeschlagenes Buch. Wir können wieder staunen lernen. Die Wolken am Himmel betrachten, der Sonne zusehen wie sie untergeht, in der Nacht den Sternenhimmel bewundern, den Klatschmohn am Wegrand wahrnehmen, die 200 jährige Eiche bestaunen, im Gras liegen und einfach einmal nichts tun.

 

Im Urlaub dürfen wir das Leichte, das Zweckfreie und Schöne genießen, jeden Tag neu, und brauchen dabei kein schlechtes Gewissen haben, dass wir Zeit vergeuden. Denn „Gott achtet uns, wenn wir arbeiten; aber er liebt uns, wenn wir spielen.“

 

Übrigens, zu der Geschichte, die wir vorhin gehört haben, passt gut eine Begebenheit aus dem Leben Jesu.

 

Einmal hat Jesus seine Jünger weggeschickt, um den Leuten von Gott zu erzählen, Kranke zu heilen und Boten des Friedens zu sein. – Für die Jünger war es anstrengend, als Missionare von Ort zu Ort zu ziehen, vielen Menschen zu begegnen und ihnen die frohe Botschaft zu verkünden. Das war kein Spaziergang. Sie waren richtig geschafft und müde, als sie alle wieder bei Jesus zusammenkamen.

 

Was macht da Jesus? Er fragt die Jünger nicht, kaum sind sie da, nach der Erfolgsquote ihrer Bekehrungen. Er sagt auch nicht: Wir dürfen keine Zeit verlieren. Gleich geht’s weiter! Auf, wieder ran!

 

Was macht Jesus? Zunächst hört er zu. Die Jünger können berichten und erzählen, wie es ihnen auf den Missionsreisen ergangen ist, was sie erlebt und erfahren haben.

 

Dann lädt er sie ein: „Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus!“

Und er fährt mit ihnen im Boot in eine einsame Gegend, um allein zu sein.

Das zeigt: Jesus ist nicht der ruhelose Antreiber. Er hat keinen Gefallen am pausenlosen Betrieb.

Er gönnt den Seinen eine Atempause, eine stressfreie Zone, eine Auszeit, gleichsam einen Kurzurlaub. Sie sollen sich erholen, ausspannen und neue Kraft schöpfen.

Wie viel Menschlichkeit und Lebensklugheit spiegelt das Verhalten Jesu wieder.

 

„Kommt und ruht ein wenig aus!“ – Diese Worte dürfen wir auf uns hin hören und auf uns ganz persönlich anwenden, gerade jetzt in der der Urlaubs- und Ferienzeit.

„Kommt mit und ruht ein wenig aus!“

Auch von diesen Worten gilt: „Was er euch sagt, das tut!“