geistliche Impulse

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Predigt

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Ulrika Nisch (08.05.)

 

Ulrika Nisch erblickte am 18. September 1882 im oberschwäbischen Mittelbiberach-Oberdorf als uneheliches Kind das Licht der Welt. Schon tags darauf wurde sie in der Pfarrkirche getauft und erhielt den Namen Franziska. – Zu diesem Zeitpunkt waren ihre Eltern, der Pferdeknecht Ulrich Nisch und Klothilde Dettenrieder noch nicht verheiratet. Die Großmutter mütterlicherseits widersetzte sich einer Heirat. Sie wollte ihre Zustimmung nicht geben, weil die Mittel und Voraussetzungen fehlten, um eine Familie ernähren zu können. Erst durch die Geburt des Kindes konnten die Eltern ein Jahr später heiraten. Die Großmutter und der Standesbeamte, der wegen des geringen Einkommens des Bräutigams einer Eheschließung ebenfalls ablehnend gegenüberstand, willigten nun ein. Das Ehepaar ließ sich in Unterstadion, einem kleinen Dorf bei Ehingen an der Donau nieder. Sie bekamen noch dreizehn weitere Kinder. Aber nur fünf davon erreichten das Erwachsenenalter.

 

Die ersten Lebensjahre verbrachte die kleine Franziska bei seiner Großmutter und bei ihrer Tante Gertrud. Dort genoss sie eine tiefe religiöse Erziehung und erlebte – vor allem bei ihrer Patentante, die für sie wie eine Mutter war – viel Güte und Herzlichkeit.

Mit Schulbeginn holten die Eltern die Siebenjährige zurück in die eigene Familie nach Unterstadion. Doch es war nicht leicht für das Mädchen. Von Zuneigung und Liebe von Seiten der Eltern war wenig zu spüren. Der Vater war sehr streng und legte seiner Ältesten gegenüber mitunter große Härte an den Tag.

 

Da die Familie bitterarm war, musste Franziska als ältestes Kind schon früh Verantwortung übernehmen, viele Pflichten im Haushalt erfüllen und für die jüngeren Geschwister sorgen. In der Schule war sie keine Leuchte, eher Durchschnitt. Nur im Religionsunterricht fiel sie durch prompte und exakte Antworten auf.

 

Nach der Volksschule ging das junge Mädchen „in Stellung“ und arbeitete an verschiedenen Orten als Dienstmädchen. Zunächst bei der Familie eines Onkels, der in Sauggart ein kleines Lebensmittelgeschäft betrieb. Die Arbeit war sehr beschwerlich. Franziska fühlte sich überfordert und ausgenutzt. Dann kam sie zu einer evangelischen Familie in Biberach, denen eine Bäckerei und Konditorei gehörten. Schließlich ging sie – weil sie sich dort besseren Lohn erhoffte – nach Rorschach in der Schweiz (Kanton St. Gallen), wo sie als Hausangestellte und Kindermädchen bei einer Lehrerfamilie arbeitete. Aufgrund ihrer Güte, ihres Fleißes und ihrer Ernsthaftigkeit gewann Franziska das volle Vertrauen und die Wertschätzung der Familie. Mit dem verdienten Geld versuchte sie, so gut es ging, ihre Eltern und die jüngeren Geschwister daheim zu unterstützen.

 

Im Frühjahr 1904 erkrankte Franziska schwer an Gesichtsrose und wurde in Rorschach ins Krankenhaus eingeliefert. Dort wurde sie über mehrere Wochen von Ingenbohler Kreuzschwestern liebevoll gepflegt. Der Kontakt mit den Schwestern war der endgültige Anlass, ihrem immer wieder aufflackernden Wunsch, in einen Orden einzutreten, in die Tat umzusetzen. Schon ein halbes Jahr später, am 17. Oktober 1904 wurde sie bei den Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Kreuz in Hegne (bei Konstanz am Bodensee) aufgenommen. Weil ihr Beichtvater sich für sie einsetzte, konnte Franziska auch ohne Mitgift und Aussteuer ins Kloster eintreten.

 

In ihrer Probezeit arbeitete sie zunächst in der Küche des Provinzhauses. Im Mai 1905 sandte man die Postulantin für ein halbes Jahr in das Schwesternhaus in Zell-Weierbach bei Offenburg (Baden), wo sie neben der Küchenarbeit auch im Nachtdienst der Krankenpflege eingesetzt war.

 

Mitte April 1906 kehrte sie nach Hegne zurück, um dort mit der Einkleidung am 24. April das Noviziat zu beginnen. Franziska empfing das Ordenskleid der Kreuzschwestern und – nach dem Vornamen ihres Vaters – den Ordensnamen Ulrika. Am 24. April 1907, dem Fest des heiligen Fidelis von Sigmaringen, legte sie ihre erste Profess ab.

 

Den 22 Jahren in „kleinen Verhältnissen“ in ihrem bisherigen Leben, folgten nun noch neun Jahre in verschiedenen Schwesternstationen in Baden – wiederum, wenn auch ganz anders, in „kleinen Verhältnissen“.

 

Nach der Profess kam Schwester Ulrika als „Küchenhilfe“ ins Krankenhaus nach Bühl (Baden) und schließlich im Frühjahr 1908 als „Zweite Küchenschwester“ ins Vinzentius-Haus nach Baden-Baden, wo sie bis August 1912 blieb. – In diesen „kleinen Verhältnissen“ zu beten, zu arbeiten und zu leiden, darin sah Ulrika ihre Berufung.

 

Ihre Arbeit erledigte sie gewissenhaft. Den Menschen in ihrer Umgebung begegnete sie hingabebereit und liebevoll. Ihr „Wirken im Kleinen“ zeichnete sich aus durch Aufmerksamkeit und Freundlichkeit, durch Hilfsbereitschaft und eine kindliche Dankbarkeit. „Jesus zulieb“ erfüllte sie widerspruchslos und willig alle schweren Anforderungen dieser Jahre.

Neun Jahre ihres kurzen Lebens war Ulrika Nisch Kreuzschwester. Ihren Dienst tat sie entsprechend dem Programm der Kreuzschwestern: „Ganz dem Gekreuzigten und darum ganz dem Nächsten, der Liebe Christi Stellvertreterin.“ Dieser stille Dienst blieb kennzeichnend für alle Etappen ihres Weges.

 

Spirituell war Ulrika, die – wie aus ihren Aufzeichnungen hervorgeht – Visionen von ihrem Schutzengel, von der Muttergottes und von Heiligen empfing – von einer tiefen Verehrung für das Kreuz und die heilige Eucharistie geprägt.

 

Ständige Kopfschmerzen, dazu ab 1912 furchtbare Glaubensnöte und die durchlittene „dunkle Nacht der Seele“ (Erfahrung geistlicher Trockenheit und Trostlosigkeit) ließen sie als „Kreuzschwester“ am Kreuz Jesu Anteil nehmen. Immer wieder hatte sie in dieser Phase auch unter Eingebungen und Versuchungen des „bösen Feindes“ zu leiden. Schwere körperliche Arbeit und ein Leben der Entsagung rieben Schwester Ulrikas Kräfte auf.

 

Im Juli 1912 kehrte Ulrika sterbenskrank ins Mutterhaus nach Hegne zurück. Diagnose: eine schwere Lungen- und Kehlkopftuberkulose, eine Krankheit, gegen die man damals machtlos war.

Voll Liebe und Hingabe an Gott und in großer Sehnsucht nach dem Himmel lebte sie die letzten Tage ihres irdischen Lebens. „Gott will, dass ich sterbe, wie ich gelebt habe. Er wird zu seiner Zeit tun, was ihm gefällt.“ So redete die schwerkranke Ordensfrau über den Tod. Niemand weilte an ihrem Sterbebett, weil sie die Betreuerin zu einer kranken Mitschwester geschickt hatte. Am 8. Mai 1913 starb Schwester Ulrika im Alter von dreißig Jahren.

 

Man möchte meinen: Eine, die so still und unbeachtet durchs Leben ging, würde wohl bald vergessen sein. Doch das Gegenteil war der Fall. Man begann von dieser kleinen Dienerin Gottes zu reden. Mitschwestern und andere, die sie kannten, mit ihr zusammen waren und sie erlebt hatten, begannen von ihrem kleinen und bescheidenen – und doch von einer tiefen Liebe zu Gott und zu den Menschen geprägten – Leben zu erzählen. Das ließ aufhorchen. Menschen fassten Vertrauen und wandten sich mit ihren Anliegen an die frühvollendete Ordensschwester. Ein Zustrom zu ihrem Grab auf dem Klosterfriedhof in Hegne setzte ein. Die Zahl der Pilger wuchs. Ebenso häuften sich wunderbare Gebetserhörungen.

 

Am ersten November 1987 hat Papst Johannes Paul II. Ulrika Nisch seliggesprochen. Ihr Leben ist für viele Gläubige Anspruch und Ermutigung zur Christusnachfolge. 1991 wurden ihre Gebeine in eine eigens erbaute Krypta der Klosterkirche übertragen. Ihr Grab ist für viele eine Stätte des stillen Verweilens, ein Ort innigen Gebetes und eine Quelle der Kraft, des Trostes und der Zuversicht.

 

Worin kann Schwester Ulrika den Menschen heute Vorbild und Wegweiserin sein?

Erstens: Schwester Ulrika hat schon von Kindertagen an gern gebetet, soweit es ihre freie Zeit zuließ. Gefragt, wie man beten soll, antwortete sie: „Man muss die Läden schließen!“ Womit sie den Wert der Sammlung und der Stille hervorhob. Im Gebet hat sie Kraft geschöpft. Durch Sammlung und inneres Beten blieb sie auch in all ihren Aufgaben „bei Gott“. Für sie war Gott einfach immer „da“. Was sie anderen schrieb, hat sie selbst gelebt: „Verrichten wir unsere Werke und Handlungen in Gottes Gegenwart und zu seiner Ehre.“

Zweitens: Schwester Ulrika nahm ihren Alltag an, so wie er war, das Helle und Schöne, das Dunkle und auch das Schwere. Sie war im wahrsten Sinne des Wortes immer zu-frieden.

Drittens: Groß wird ein Mensch nicht durch das, was er tut, sondern dadurch wie er etwas tut. Schwester Ulrika hat nicht das Außerordentliche gesucht, sondern hat das Tägliche und Gewöhnliche mit außerordentlicher Bereitschaft und Hingabe getan. Ihr Tun war einfach liebendes Da-sein in Demut und Treue, in Freundlichkeit und Geduld.