geistliche Impulse

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Predigt

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Fest der Wundmale des Heiligen Franziskus (17. September)

 

 

Die franziskanische Ordensfamilie feiert heute das Fest der Stigmata des Heiligen Franziskus.

Im Jahr 1224 – um das Fest Kreuzerhöhung – zwei Jahre vor seinem Tod, hielt sich Franziskus für mehrere Wochen in der Toskana auf dem Berg La Verna auf. Hierher hatte er sich zu Fasten, Gebet und Meditation zurückgezogen. Eine Art 30-tägige Exerzitien.

 

In dieser Gebetseinsamkeit geschah es, dass sich seinem Leib – während er ganz in Betrachtung versunken war – die Wundmale Jesu einprägten. An seinem Körper zeigten sich jene wunden Stellen, die Christus durch seine Kreuzigung erlitten hatte.

Da brach nach außen durch, was sich Franziskus schon lange, seit dem Gebet vor dem Kreuz in San Damiano, innerlich zutiefst eingeprägt hatte.

 

Da soll ein Mensch die Wundmale Jesu empfangen haben.

Die Wunden Jesu sollen an seinem Leib sichtbar geworden sein.

Heutzutage ist das für viele vermutlich ein fremder und sonderbarer Gedanke.

Ich will nun nicht versuchen, dieses Phänomen zu erklären.

Letztlich bleiben die Stigmata sowohl bei Franziskus als auch bei anderen, wie z.B. Anna Katharina Emmerick, Therese von Konnersreuth oder Pater Pio ein Geheimnis.

Ich möchte jedoch ein paar Gedanken und Überlegungen mitteilen,

die vielleicht hilfreich sein und zum Verstehen dieses Geheimnisses hinführen können. – Denn so etwas gibt es, dass einer die Wundmale eines anderen trägt.

 

Ein erster Zugang tut sich auf, wenn wir bedenken: Es gibt kein Leben ohne Wunde. Wunden kennt jeder Mensch, körperliche und seelische Verwundungen; schuldlos erlittene und selbst verschuldete;

Wunden bereits zugeheilt und vernarbt, aber auch Wunden, die immer noch nicht verheilt sind, Wunden, die immer noch bluten.

 

Wer tief enttäuscht, betrogen, beleidigt oder verleumdet wurde, trägt oft lebenslang an solchen „Wunden“.

 

Halten wir fest: Wer auf Erden lebet, wer mit Menschen zusammenlebt, wer in der Kirche lebt, dem prägt das Leben Wundmale ein und Mitmenschen fügen ihm Verwundungen zu.

Darum trug Jesus auch Wundmale, weil er sich nicht heraushielt, sondern sich ganz hineingab in dieses unser Leben, weil er Mensch wurde, unser Bruder.

 

Ein zweiter Zugang kann sich uns auftun, wenn wir an die Liebe und Solidarität zwischen Menschen denken, die für einander da sind.

Ich möchte das, was ich meine, in den Satz formulieren:

„Verwunde den, den ich liebe, und du verwundest mich!“

Füge dem, den ich liebe Schmerzen zu, und du fügst mir Schmerzen zu! – Rede verletzend über eine Frau, und du verletzt ihren Mann, der sie liebt! – Rede verletzend über einen Mann, und du verletzt seine Frau, die ihn liebt! – Rede verletzend über die Kinder oder verletze sie sogar, und du verletzt die Eltern, die sie lieben!

 

Wundmale eines anderen tragen, an den Schmerzen eines anderen mitleiden: das ist eine Frage der Liebe! Je mehr einer liebt, desto mehr verwundet es ihn, wenn der oder die Geliebte leidet.

 

„So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen Sohn für uns dahin gab.“ – So sehr hat Christus uns geliebt, dass er Wundmale trug, am Kreuz verwundet wurde. – Stellvertretend, solidarisch in seiner Liebe bis zum Äußersten, ist er für uns Menschen, die er liebt, Wunde geworden.

 

Hier haben wir einen Schlüssel zum Geheimnis der Wundmale des hl. Franziskus, die er auf dem Berg La Verna empfangen hat.

Franziskus liebte den leidenden Christus. Von Beginn seiner Bekehrung an war er von einer tiefen Verehrung und Liebe zum Gekreuzigten erfüllt. Er meditierte sein Leiden. Er versenkte sich in die Erlöserliebe Christi. Er vereinigte und verband sich mit den Wunden der Passion.

 

Und so wie wir in einem alten Lied zur Mutter Jesu rufen:

„Heilige Mutter, drück die Wunden, die dein Sohn am Kreuz empfunden, tief in meine Seele ein“, so bittet Franziskus Jesus:

Lass mich teilhaben an deinem Leiden! Gib mir Anteil an deiner Liebe!

Drücke deine Wunden tief in meine Seele, in mein Herz!

Mach mich immer mehr eins mit dir!

 

Franziskus empfindet mit Jesus in seinem Leiden. Er leidet mit.

Er wird ein Mitleidender! Es tut ihm weh, dass Christus unschuldig leidet, aus Liebe, für uns.

Weil er, den er liebt, verwundet ist, darum prägen sich auch ihm die Wundmale ein, darum trägt auch er Wundmale.

Franziskus leidet, weil er den Herrn leiden sieht, den er liebt.

Bis ins Tiefste von der Liebe verwundet, ist er selber zur Wunde geworden.

Es ist eine Frage der Liebe! Wer liebt, wer als Liebender mitleidet, kann nicht anders als Wunden tragen.

 

So frage ich mich: Tut es mir weh, dass Christus verwundet ist?

Trage ich Wundmale, weil Menschen in meiner Umgebung oder sonst wo auf der Welt, Wundmale tragen? Es ist eine Frage der Liebe!

 

Ein letzter Gedanke: Christus hätte kneifen können vor dem Kreuz und die meisten hätten Verständnis gehabt, wenn er dem Leiden, dem Kreuz ausgewichen wäre.

„Wenn du Gottes Sohn bist, dann steige herab vom Kreuz!“

Er hat es nicht getan. Er ist nicht ausgewichen.

Das ist der tiefste Beweis seiner Liebe!

Weil er uns liebt, weicht er nicht aus, wo es heißt, mit uns oder für uns das Kreuz zu tragen.

Es ist eine Frage der Liebe! Damals bei Jesus, dann bei Franziskus, und schließlich bei uns, bei mir, heute.