Exerzitien mit P. Pius

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Vortrag
beim „Einkehrtag für Ordensleute“ in St. Gallen
(am 1. Februar 2006)


„Geheimnis und Geschenk der Berufung - Ordensberufung als Gabe des Heiligen Geistes“
Gedanken zur theologischen u. spirituellen Dimension der Ordensberufung.

 

Gerne habe ich die Anfrage von Herrn Pfarrer Josef Kaufmann bejaht und die Einladung angenommen, zu Ihnen heute nach St. Gallen zu kommen und den diesjährigen „Tag der Ordensleute“ mitzugestalten.

In diesem Jahr ist der Ordenstag in das Jahr der Berufung eingebettet, das in der gesamten Schweiz durchgeführt wird.
Von daher hat sich das Thema nahe gelegt, unter dem der heutige Einkehrtag steht, nämlich das der Berufung, Berufung als Geheimnis und Geschenk und speziell der Ordensberufung als besonderes Charisma, sprich: Gabe des Heiligen Geistes.

Zunächst aber ein paar Worte zu mir selbst, damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben: Ich heiße Pius Kirchgessner, bin 53 Jahre alt, Kapuziner. Ordenseintritt 1972.

Vor 15 Jahren habe ich eine 2jährige Ausbildung beim Institut der Orden gemacht als Exerzitien- und Meditationsleiter.
Seitdem ist meine Hauptaufgabe in der Exerzitienseelsorge.

Stationiert bin ich in Zell am Harmersbach, einem Marienwallfahrtsort im mittleren Schwarzwald.


Und nun zum Thema Berufung: Lassen Sie mich, bevor ich zur Ordensberufung komme, etwas Grundlegendes sagen, denn vor der Berufung zu einer bestimmten Lebensform stehen meines Erachtens zwei ganz wesentliche andere Dimensionen von Berufung, die wir nicht überspringen können, zumal die Ordensberufung sie voraussetzt und darauf aufbaut.


1. Berufung zum Menschsein


Unser Glaube sagt uns, dass Gott jeden Menschen ins Dasein gerufen und ihm eine einzigartige Berufung geschenkt hat.
Jeder Mensch ist einmalig und unersetzbar. Das Wort des Propheten Jeremia darf jeder auf sich selbst hin hören:
„Noch ehe ich dich im Mutterschoß formte, habe ich dich ausersehen, noch ehe du aus dem Mutterleib hervorkamst, habe ich dich geheiligt“ (Jer 1, 4).
Dieses Geschenk der Berufung zum Menschsein ist uns Einladung, die menschlichen Gaben, die uns ins Leben mitgegeben sind, zu entfalten: unsere Leiblichkeit, unsere Beziehungsfähigkeit und unser Gefühlsleben, aber auch unseren Verstand, unsere Talente und Begabungen.
In einem Lied heißt es:

„Vergiss es nie, dass du lebst, war keine eigene Idee und dass du atmest, kein Entschluss von dir. Vergiss es nie, dass du lebst, war eines Anderen Idee, und dass du atmest, sein Geschenk an dich. Du bist gewollt, kein Kind des Zufalls, keine Laune der Natur, ganz egal, ob du dein Lebenslied in Moll singst oder Dur.“
Welche Chance und welcher Reichtum ist es, Mensch zu sein, Mann und Frau zu sein und mit anderen Menschen Gemeinschaft pflegen zu dürfen!

Diese Wahrheit hat noch einen ganz individuellen Aspekt: Ich bin nicht nur allgemein ins Dasein, sondern in mein Dasein gerufen.
„Ich habe dich bei deinem Namen gerufen“, heißt es beim Propheten Jesaja. Die Annahme der Individualität, die sehr verbunden ist mit unserer Leiblichkeit und Lebensgeschichte, ist ein wichtiger Schritt auf dem Berufungsweg.

Mich hat es ganz tief berührt, als ich vor vielen Jahren zum ersten mal hörte, dass das letzte Wort der heiligen Klara vor ihrem Tod folgendes war:

„Herr, sei gepriesen, weil du mich erschaffen hast!“
Welch eine Zustimmung zum Leben, zum Menschsein! Lebensbejahung pur! Trotz jahrelanger schwerer Krankheit!

Die Berufung zum Menschsein finde ich einmalig schön und zutreffend in einem Gebet von J. H. Newman ausgedrückt:
„Ich bin gerufen, etwas zu tun oder zu sein, wofür kein anderer berufen ist. Ich habe einen Platz in Gottes Plan, auf Gottes Erde, den kein anderer hat. Ob ich reich bin oder arm, verachtet oder geehrt bei den Menschen, Gott kennt mich und er ruft mich mit meinem Namen.“
Roman Guardini fasst diese Dimension der Berufung folgendermaßen ins Gebet. Es ist eines meiner Lieblingsgebete:
„Immerfort empfange ich mich aus deiner Hand. Das ist meine Wahrheit und meine Freude. Immerfort blickt mich dein Auge an und ich lebe aus deinem Blick, du mein Schöpfer und mein Heil. Lehre mich in der Still deiner Gegenwart, das Geheimnis zu verstehen, das ich bin und dass ich bin durch dich und vor dir und für dich.“

„Wenn ich einmal im Jenseits ankomme“, so erzählt Rabbi Sussja in einer jüdischen Geschichte, „dann wird ER mich nicht fragen: Sussja, warum bist du nicht ein so großer Führer wie Mose gewesen, oder ein so feuriger Prophet wie Elija, oder ein berühmter Schriftsteller? Sondern: warum bist du nicht Sussja geworden? Warum hast du dich entfernt von dem Bild, nach dem ich dich geschaffen habe? Warum warst du immer bloß mehr oder weniger dies, mehr oder weniger das, nur nicht, was dir bestimmt war: Sussja zu sein? Bloß Sussja - aber dies ganz!“
 

Lied: „Ich will dir danken, weil du meinen Namen kennst, Gott meines Lebens.“

Die Berufung zum Menschsein und die Entfaltung des Menschseins ist die erste und grundlegende Dimension, wenn wir von Berufung sprechen. Darauf basiert eine zweite Berufung:
 


2. Berufung zum Christsein
 

In der Taufe sind wir zum Christsein berufen. In der Taufe wurde uns die Gotteskindschaft geschenkt, über die wir uns freuen dürfen und die wir in der großen Gemeinschaft der Christen, in der Kirche, leben dürfen.
Heute, wo wir uns als Christen mehr und mehr in einer Diasporasituation befinden, spüren wir wieder mehr als in früheren Zeiten, dass es nicht selbstverständlich ist, zum Volk Gottes zu gehören. Christsein ist nicht mehr das Selbstverständliche. Es ist eine Erwählung. „Freut euch, wir sind Gottes Volk, Berufene, erwählt durch seine Gnade!“
Das entspricht ganz biblischem Denken. Oft werden da die Gläubigen einfachhin „Berufene“ genannt.

Wenn wir von vornherein in der Kirche unterscheiden zwischen Berufenen (im Sinne des Klerus, der Ordensleute usw.) und Nichtberufenen (im Sinne des einfachen oder gemeinen Kirchenvolkes) dann bleiben wir weit hinter der Hl. Schrift zurück.
Aber auch hinter den Aussagen und dem Auftrag des II. Vatikanischen Konzils, das ganz deutlich die Berufung aller Getauften zur Heiligkeit und zur Nachfolge Jesu herausstellt.

Wenn Sie angeklagt würden, ein Christ zu sein, gäbe es dafür genügend Beweise? – Diese Frage ist mir neulich begegnet.
Sie hat mich nachdenklich gemacht. Auch nur einigermaßen in der nachfolge Christi zu leben, könnte ich das beweisen?
Merkt man mir das an? Welche Anzeichen sprechen dafür?

Die Berufung zum Christsein und ihre Auswirkungen, hat Papst Benedikt XVI. in einer Predigt bei der Feier seiner Amtseinführung schön und treffend ins Wort gebracht:
„Wer Christus in sein Leben einlässt, dem geht nichts verloren, was es frei, groß und schön macht. Habt keine Angst! ER nimmt nichts, ER gibt alles! In seiner Freundschaft findet ihr das wirkliche Leben! In dieser Freundschaft gehen überhaupt die großen Möglichkeiten des Menschsein auf.“

Die Berufung zum Christsein finde ich auch sehr schön in einem Gebet ausgedrückt. Es steht im „Gotteslob“ und lautet:
„Herr Jesus Christus, du hast mich berufen, dass ich mit dir zum Vater gehe. Mit dir will ich allzeit auf dem Weg bleiben. Sei das Wort, auf das ich höre und dem ich folge. Sei das Licht, das mich erleuchtet. Sei die Kraft, die mich erfüllt. Sei der Beistand, der mich nicht verlässt. Mach mich immer mehr eins mit dir. Lass mich mit dir verbunden sein und einst zur ewigen Vollendung gelangen.“
 

Lied: „Christus, der Herr, hat mich erwählt, ihm soll ich fortan leben. Ihm will ich dienen in der Welt und Zeugnis für ihn geben. So leb ich nicht mehr mir allein, sein Freund und Jünger darf ich sein. Ich trage seinen Namen; sein bleib ich ewig. Amen.“ (schweizerisches Gesangbuch Nr. 4, 3; Gl. 635, 3)

Auf die gnadenhafte Berufung in das Heil, das uns in Christus geschenkt ist, baut eine dritte Berufung auf. Es ist der Ruf zu einer bestimmten Lebensform.
 


3. Berufung zu einer spezifischen christlichen Lebensform
 

Innerhalb der gemeinsamen Berufung zum Christsein haben sich im Laufe der Geschichte vielfältige Formen entfaltet, die christliche Berufung zu leben.

  • Die einen sind gerufen, als Laien in der „Welt“, z. B. im Beruf, in der Politik, in Vereinen und Verbänden die Nachfolge Christi zu leben. Viele von ihnen sind gerufen zu Ehe und Familie, andere zur Ehelosigkeit.

  • Berufen zu einer spezifischen christlichen Lebensform. Das trifft auch auf die Diakone, Priester und Bischöfe zu, auf alle, die berufen sind, in der Kirche den Dienst der Verkündigung auszuüben, den Dienst an den Sakramenten zu versehen, den Dienst an den Bedürftigen zu vollziehen oder auch die Gemeinden zu leiten.

  • Berufen zu einer spezifischen christlichen Lebensform sind auch die Laienseelsorger und -seelsorgerinnen, Pastoral- und Gemeindereferenten, Katecheten und Katechetinnen, Religionslehrer und Religionslehrerinnen u. a.

  • Berufen zu einer spezifischen christlichen Lebensform sind wir, die Frauen und Männer, die in einen Orden eingetreten bzw. ins Kloster gegangen sind oder einer geistlichen Gemeinschaft angehören, sei es um in einem kontemplativen Orden durch ein beschauliches Leben Zeugnis von der Gegenwart Gottes in dieser Welt zu geben und stellvertretend für die Anliegen der Menschen zu beten oder sei es, um in einem tätigen Orden apostolisch, diakonisch oder caritativ zu wirken und so Zeugen der Hoffnung, Werkzeuge des Friedens und Botinnen und Boten der Liebe Gottes zu sein.

Alle diese unterschiedlichen Ausfaltungen der einen christlichen Berufung, die ich jetzt - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - aufgeführt habe, sind gleichwertig und ergänzen einander.

Wie Sie wissen, wurde früher - über Jahrhunderte - der Begriff „Berufung“ isoliert verwendet, er war praktisch für die Priester- und Ordensleute reserviert. Die Berufung zum Weihestand und zum Rätestand galt als einzige Möglichkeit, zur „Vollkommenheit“ zu gelangen. Solches Denken und solches Bewusstsein wird heute zu Recht hinterfragt. Es ist zu elitär und es „riecht“ nach „mehr und weniger“, „besser oder schlechter“. Jeder Christ kann seinen Beruf und seinen Stand als Berufung sehen, verstehen und leben und soll es eigentlich auch.
Nachfolge ist nicht nur Sache der Ordensleute. Hinter Jesus hergehen, auf ihn hören, von ihm lernen, sich zu ihm bekennen und von ihm Zeugnis geben – das alles gilt für jeden Christen. Jedem Christen ist das ganze Evangelium aufgegeben. „Mir nach spricht Christus, unser Held, mir nach ihr Christen alle...“
Und nur innerhalb der für alle gleichen Grundberufung haben geistliche Gemeinschaften ihren Ort.
Ich sehe jedoch - ehrlich gesagt - die Gefahr, dass der Berufungsbegriff, der früher isoliert verwendet wurde, heute nivelliert wird. Hat sich nicht eine gewisse Verschämtheit eingestellt beim Sprechen über geistliche Berufe und Berufungen? Weil man ja nicht besser und mehr sein will als andere. Kommen dadurch nicht die – ich sag mal so – „besonderen Berufungen“ zu kurz oder geraten ins Hintertreffen? Fallen wir da nicht von einem Straßengraben in den andern?
Bei allem Betonen der Berufung aller Getauften zur Heiligkeit und zur Nachfolge Christi ist es, meine ich, nicht verkehrt, doch auch zu differenzieren, zumal in einer Situation, wo sich immer weniger für den Weg als Priester und/oder im Rätestand entscheiden. Sonst kann es auch passieren, dass der Impuls, einen kirchlichen Beruf im engeren Sinn zu ergreifen, untergeht, wenn doch ohnehin alle berufen sind.
Natürlich ist der Priester- und Ordensberuf nicht die einzige Möglichkeit mit der Taufe ernst zu machen, aber doch eine einzigartige. Das Leben des Christen in der Taufentschiedenheit ist intensivierbar. Es geht daher im Ordensleben nicht um ein Christsein besser oder mehr als das aller Getauften, sondern um – wie Heinrich Spaemann sagt - eine besondere Form von „verantwortetem Christsein“, das der Taufe entspringt. Ich meine: auf dem Fundament der allen gemeinsamen Berufung zum Christsein und Jünger/-in-Sein durch Taufe und Firmung kann und darf auch profiliert von unterschiedlichen Charismen und Berufungen zum Dienst in der Kirche geredet werden, insbesondere von den spezifisch geistlichen Berufen. (Wo Kirche als Communio von unterschiedlichen Berufungen und Charismen gedacht und erlebt wird, soll es da nicht möglich sein, ängstliche Abgrenzungstendenzen und Neidereien durch gegenseitige Wertschätzung und Sorge füreinander abzulösen? Sind im „Leib“ der Kirche nicht alle aufeinander angewiesen und verwiesen? Und ist es nicht so: je mehr jeder das ihm Eigene, sein Charisma einbringt, um so lebendiger wird Gemeinde, wird Kirche?)


Gerade die Ordensberufung ist eine auffallende und ganz spezifische Gabe des Heiligen Geistes an die Kirche. Wenn diese Berufung eines Tages nicht mehr vorkäme und nicht mehr gelebt würde, würde etwas ganz Wesentliches fehlen in der Kirche. Ohne das Charisma des gottgeweihten Lebens wäre die Kirche kälter und ärmer. Wo das Zeugnis der Orden fehlt oder schwächer wird, da fehlt der Kirche, auch der jeweiligen Ortskirche, eine ihr wesentliche Dimension prophetischen Zeugnisses. Es ist keine Frage: das gottgeweihte Leben ist ein wesentlicher Bestandteil des Lebens der Kirche. Die Kirche kann nicht darauf verzichten und sie darf nicht darauf verzichten. Denn diese Lebensform ist ein notwendiges Zeichen und Zeugnis.
Es gibt noch eine Dimension der Berufung:
 


4. Die Berufung innerhalb der Berufung

Eine kurze Geschichte mag dazu hinführen:


„Wie lange bist du schon Mönch?“ fragte ein junger Mann einen alten Mönch, der bereits über 50 Jahre im Kloster lebte. „Ein richtiger Mönch?“, sagte der Alte, „noch nicht lange. Ich habe allein 50 Jahre gebraucht um den Berg der Entschiedenheit zu besteigen.“ Worauf der junge Mann wissen wollte: „Sollte man zuerst sehen und dann entscheiden, oder entscheidet man zuerst und sieht dann?“ „Wenn ich dir einen Rat geben darf, junger Mann“, sagte der alte Mönch, „vergiss die Fragen und nimm endlich den Berg unter die Füße.“

Viele Heilige haben erst nach vielen Jahren innerhalb einer Ordensberufung ihre eigentliche Berufung erkannt. Es ist nie zu spät zu größerer Entschiedenheit und Radikalität.
Das berühmteste Beispiel dürfte Theresia von Avila sein.
Aus unserer Zeit fällt mir Mutter Teresa ein, die als Ordensfrau zunächst Lehrerin war, dann ihre eigentliche Berufung erkannte, in Kalkutta den Ärmsten der Armen zu dienen.
Oder Carlo Caretto: Er war nach dem Krieg Präsident der katholischen Jugend Italiens und wurde „Kleiner Bruder“. Er, der oft zu Hunderttausenden auf dem Petersplatz sprach, ging in die Einsamkeit der Wüste, dorthin, wo Charles de Foucauld gelebt hatte: auf den „letzten Platz“. Berufung in der Berufung!
Noch ein Beispiel: Edith Stein, eine moderne Frau, eine unerbittliche Sucherin, Tochter jüdischer Eltern, als junges Mädchen verliert sie den Glauben, gewöhnt sich das Beten ab, „bewusst und aus eigenem Entschluss“, wie sie selber später sagt, kommt aber während ihres ganzen Studiums von der Wahrheitsfrage nicht los. Begegnungen mit überzeugten Christen machen sie unruhig. Als Philosophin nähert sie sich dem katholischen Glauben. Die Lektüre der Autobiographie von Theresia von Avila gibt schließlich den Ausschlag zur Konversion. Sie lässt sich taufen. Ihr Beruf, den sie aber als Berufung sieht und ausübt: Lehrerin bei den Dominikanerinnen in Speyer, später Dozentin am Deutschen Institut für wissenschaftliche Pädagogik in Münster. Außerdem ist sie eine viel gefragte und erfolgreiche Rednerin. Sie setzt sie sich für eine qualifizierte Ausbildung der Mädchen und für die Rechte der Frau ein. Ihr selber bleibt die Professur an der Universität versagt, weil sie Frau ist. Hitlers Machtergreifung bereitet ihrem öffentlichen Wirken ein Ende. Das ist die Stunde ihrer eigentlichen Berufung, Berufung in der Berufung. 1933, mit 42 Jahren, tritt sie in den Kölner Karmel ein. Nach der Kristallnacht 1938 findet sie Aufnahme im Karmel in Echt/ Holland. Jüdin, Atheistin, Philosophin, Feministin, Konvertitin, Karmelitin, Märtyrerin. Im August 1942 wird sie mit ihrer Schwester Rosa und anderen katholischen Juden verhaftet, nach Ausschwitz gebracht und vergast. „Komm, wir gehen für unser Volk“, sagt sie bei der Haftung zu ihrer Schwester. Auf einem Zettel, der aus dem holländischen Sammellager das Kloster Echt erreichte, stand zu lesen: „Konnte bisher herrlich beten“. An ihrem Leben wird deutlich, dass eine religiöse Berufung nicht unbedingt etwas einmaliges und abgeschlossenes ist, sondern Wegcharakter hat, ein Prozess ist und ein Leben lang interessant, spannend, ja abenteuerlich und faszinierend sein kann, aber auch voller Dramatik und Tragik.
 

Am Lebenslauf von Edith Stein lassen sich die verschiedenen Dimensionen der Berufung wunderbar ablesen und aufzeigen:

  • Berufung zum Menschsein – trotz Depressionen und Scheitern

  • Berufung zum Christsein – nach einer Phase der Orientierungslosigkeit und eines jugendlich-trotzigen Atheismus.

  • Berufung zu einer Aufgabe, Auftrag, Sendung

  • und schließlich Berufung zum gottgeweihten Leben.

  • Am Schluss noch einmal Sendung, Sinngebung, Berufung: „Komm, wir gehen für unser Volk!“

Die Berufung in der Berufung hat viel zu tun mit dem, was die Heilige Schrift Metanoia nennt, Umsinnen, Umkehr, Bekehrung.

Franziskus von Assisi sagte am Ende seines Lebens:
„Meine Brüder lasst uns endlich anfangen, Gott zu dienen. Bisher haben wir es noch nicht getan.“ Alle haben wir die Bekehrung nötig, die fortwährende Bekehrung: von den vielen Formen unserer Selbstgerechtigkeit, Lieblosigkeit, Herzenskälte, Kleinlichkeit. Christliches Leben – und erst recht Ordensleben - ist ein Weg beständiger Befreiung, Ablösung von allem Gottwidrigen und aller Lieblosigkeit, ein Weg beständiger Hinkehr zu Gott und den Menschen, ein Weg beständiger Vertiefung und Liebe.

Gebet von A. Rotzetter:
„Die selbstherrlichen Wege verlassen und den Weg Jesu gehen und das mit aller Hingabe. – Die eigenmächtigen Gedanken aufgeben und die Gedanken Jesu denken und das mit aller Hingabe. – Die ichbezogenen Ziele loslassen und das Ziel Jesu verfolgen und das mit aller Hingabe.“
 

 

5. Berufung: Geschenk Gottes
 

Bei einem Diözesanjugendtag, der unter dem Thema stand: „Warum ich heute im Orden bin“, stellte sich eine junge Ordensschwester einem Interview. Vor mehreren hundert Jugendlichen wurde sie gefragt: „Schwester, warum geht man heute eigentlich ins Kloster?“ Spontan antwortete die Schwester: „Um ganz für andere dazusein.“ Der jugendliche Reporter fragte zurück: „Um ganz für andere dazusein – muss ich denn dazu ins Kloster gehen?“ „Nein, eigentlich nicht“, gab die Schwester zu und suchte verlegen nach einer besseren Antwort. „Wir sind im Kloster, um Gott ganz nahe zu sein.“ Wieder kam die Frage kritisch zurück: „Aber muss ich denn dazu ins Kloster gehen?“ Lächelnd, doch innerlich furchtbar aufgeregt, suchte die Schwester nach neuen Antworten, aber immer musste sie hören: „Muss ich denn dazu ins Kloster gehen?“ - Nun versuchte sie sich in ihrer Aufregung zu sammeln und stellte sich selbst die Frage: Warum bin ich denn ins Kloster? Und dann konnte sie die Antwort geben, sicher und ruhig, klar und sachlich: „Ich bin im Kloster, weil ich glaube, dass Gott es so von mir will.“ (R. Körner)
 

In der letzten Klasse des Gymnasium, etwa ein ¾ Jahr vor dem Abitur war für diejenigen, die wollten an einem Morgen Berufsberatung angesagt. Für mich stand fest: Kapuziner und Priester will ich werden. Trotzdem ging ich hin, eine willkommene Abwechslung zum Matheunterricht. Mal schauen, was die gute Frau zu sagen hat. Und als ich ihr mein Berufsziel eröffnete, meinte Sie: „Das ist keine Sache des Berufes, sondern der Berufung!“
Das hat gesessen. Den Nagel auf den Kopf getroffen. Diese Antwort habe ich nie vergessen.
 

Eine Sache der Berufung! Und Berufung ist immer ein Geschenk. Berufung ist eine Gnadengabe, die weder erleistet, noch erworben, noch verdient werden kann. Und letztlich ist sie ein nie ganz fassbares und auflösbares Geheimnis.
Gott ist es, der ruft. Manchmal ist es wie ein sanftes Werben (siehe Samuel des Nachts im Tempel), ein andermal wie ein heftiger Zugriff (siehe Paulus vor Damaskus), oftmals beides in einem, behutsames Klopfen und Berührtwerden einerseits und Gepackt- und ergriffen werden andererseits. Von Berechenbarkeit keine Spur. Und oftmals innige Lust und gewaltige Last auch in einem. Die Propheten können ein Lied davon singen.
Da Ordensberufe - wie alle geistlichen Berufe - von Gott geschenkt sind, deswegen können sie immer wieder „nur“ ins Gebet gebracht, niemals aber gemacht werden. Die bleibende Aufgabe ist es, das Bewusstsein für diese Gnadengaben - auch und zumal der Ordensberufungen - wachzuhalten und alles zu tun, dass diese Berufungen wachsen können.
Ganz vorne rangiert da das Gebet. Es ist ein Herzensanliegen von Jesus selbst. Und es soll unser aller Herzensanliegen sein. Dann braucht es ein geistliches Klima in den Pfarreien und Familien. Ganz wichtig ist das persönliche Zeugnis der Berufenen, ihr Vorbild nach dem Motto: verba docent, exempla trahunt: Worte belehren, Beispiele reißen mit. Und es braucht die Elis (wie im Fall der Berufung des Samuel). Es ist interessant, dass viele biblische Berufungen vermittelt geschehen (siehe auch Joh, 35 -5 1 Johannes der Täufer, Andreas usw. Berufung zieht Kreise.)

Der Ruf des Herrn ist nicht verstummt. Er ergeht auch heute noch. Ich bin sicher, dass es auch im Bistum St. Gallen junge Christen gibt, vielleicht mehr als wir denken, die Jesus in seinen besonderen Dienst ruft. Zugegeben: Im Trend liegt das nicht, einen geistlichen Beruf zu ergreifen und ins Kloster zu gehen.
Ist es der Zeitgeist, der hindert. Oder mindern das schwindende Kirchenbewusstsein und die gegenwärtige Glaubenskrise den Sinn für dieser Lebensform? Eine Lebensform, die man ja nur aus dem Glauben verstehen und vollziehen kann! Dazu kommt heute eine große Scheu, ja Angst, sich zu binden. Bindungen einzugehen für längere Zeit oder gar für immer, fällt vielen zunehmend schwer. Flexibilität ist gefragt, Mobilität angesagt, Stellenwechsel gilt als Gütesiegel. Von wegen „ein Leben lang“ oder gar „stabilitas“.

Es gibt vieles, was es den jungen Menschen schwer macht, sich ernstlich der Frage nach einer solchen Berufung mit ihrer unwiderruflichen Verpflichtung zu stellen. Auch Zweifel daran, ob das Leben in einem Orden der Persönlichkeitsentwicklung genügend Raum lässt. Manchmal ist es auch die nächste Umgebung, die abrät, statt Mut zu machen. Um so notwendiger ist es, dass wir junge Menschen, die in Frage kommen, ansprechen, einladen, Kontakte knüpfen, die entstandenen Kontakte pflegen, sie mitleben lassen und ihnen nachdrücklich sagen: „Habt keine Angst, dem Ruf des Herrn zu folgen. Es ist der Ruf seiner Liebe, der Ruf in seine Freundschaft.“ (Benedikt XVI.)

„Ich bin im Kloster, weil ich glaube, dass Gott es so von mir will“, hat die junge Schwester im Interview geantwortet.


Ja, es ist ein folgenreicher Unterschied, ob ich frage, was will ich aus meinem Leben machen, welchen Sinn gebe ich ihm? Oder ob ich frage: „Herr, was willst du, dass ich tun soll?“
Schon an der Art, wie ich frage, entscheidet sich, ob ich das Gebäude meines Lebens ganz nach eigenen Bauplänen errichte oder ob ich aus „Berufung“ lebe und die Bauleitung gleichsam Gott übergebe.


In meiner Kindheit stand im Gesangbuch der Erzdiözese Freiburg ein Gebet, das ich in der 3./4. Klasse und auch danach oft gebetet habe und heute noch auswendig kann. Es heißt:

„Himmlischer Vater! Du hast mich erschaffen und mir in deiner Liebe einen Lebensweg zugedacht, auf dem ich mein ewiges Heil erreichen soll. Lass mich erkennen, was du mit mir vorhast, zeige mir den Beruf, der für mich passt. Zeige mir, wo ich meine Kräfte am besten einsetzen und wo ich am besten dir dienen kann.“ Willst du mich berufen zu deinem ungeteilten Dienst, so gib mir dazu die heilige Bereitschaft ins Herz und lass mich eine so unschätzbare Gnade nicht verspielen. Stärke meinen Willen zur ganzen Hingabe an dich und lass mich dann siegreich hindurchgehen durch alle falschen Lockungen dieser Welt.“ (Magnifikat S. 1115)


Ich habe dieses Gebet als Bub mit Inbrunst gebetet, wirklich, das ist nicht übertrieben. Da war ein echtes Sehnen und Verlangen: „Was willst du; Herr, dass ich tun soll?“ Und als ich merkte, Gott meint mich, fing alles an, mein Berufungsweg. Ich denke: die Entdeckung, ER meint mich, ist der Keim einer jeden Berufungsgeschichte.
„Willst du mich berufen zu deinem ungeteilten Dienst, so gib mir dazu die heilige Bereitschaft ins Herz und laß mich eine so unschätzbare Gnade nicht verspielen...“

Eine so unschätzbare Gnade verspielen, den Lebenssinn versäumen, meine Berufung verpassen. Etwas Schlimmeres kann einem kaum passieren. Ein Riesenunglück! Die Tragik des Lebens wäre das!

Vor einigen Jahren, bei der 1200-Jahr-Feier der Stadt Frankfurt am Main, war der Seiltänzer Philippe Petit zu sehen, wie er auf einem schmalen Seil von der Spitze der Paulskirche hinüber zur Spitze des Frankfurter Domes balancierte. Viele der Zuschauer verfolgten gebannt seine Schritte. Insgeheim mögen sie gedacht haben, er tue das vor allem für Geld oder aus Ruhmsucht oder um sich zu beweisen. Philippe Petit aber antwortete auf die entsprechende Frage: „Wenn ich drei Apfelsinen sehe, muss ich jonglieren. Und wenn ich zwei Türme sehe, muss ich gehen.“

Es gibt ein Müssen, das tiefer ist als jede äußere Absicht, ein inneres Drängen, dem man folgen muss, wenn man sich selbst treu bleiben will.

Ich glaube, dass es in meinem Leben einen Ruf gibt, einen Ruf, der nicht nur das Echo meines eigenen Ich ist, sondern von einem anderen kommt, von einem, der mir näher ist als ich mir selbst, innerlicher als mein Innerstes.
Gottes Ruf braucht ein Ja. Wort will Antwort. Wer nie klar Ja sagt, wer immer zögert und revidiert, wird seine Hand nicht an den Pflug legen können, ohne zurückzuschauen. Ja zum einen Weg heißt immer auch Nein zu anderen Wegen. Wer auf keine seiner Möglichkeiten verzichtet, wer keine verschenken will, der kann auch nicht die eine ganz ergreifen und realisieren, zu der Gott ihn ruft.
Für mich hat sich Gottes Ruf bislang darin konkretisiert, dass ich als Christ zugleich Kapuziner und Priester bin. Es ist meine Antwort auf diesen Ruf. Eine weitere Konkretisierung sehe ich in meiner Aufgabe als Exerzitien- und Meditationsleiter, eine Aufgabe, die ich gerne tue und die mir - bei aller Anstrengung, die sie auch kostet - viel Freude macht, mich ausfüllt und auch erfüllt. Dafür bin ich sehr dankbar.
Natürlich gab und gibt es auch Durststrecken und Tiefs und nicht immer war der Weg geradlinig. Es gab auch steile und steinige Wegstrecken. Vor zehn Jahren geriet ich in eine ganz schwere Krise, Lebenskrise und Berufungskrise. Bei Einzelexerzitien hat mir ein Wort der Exerzitienleiterin geholfen, mir neu die Richtung gezeigt, mich gestärkt und mir Zuversicht gegeben. Es lautet:
„Tu, was du kannst; mit dem, was du hast; dort, wo du bist!“
(„Tu, was du kannst“: Sämannsgleichnis; „mit dem, was du hast“: 5 Brote und zwei Fische; „dort, wo du bist“: „Fahr hinaus!“ - „Auf dein Wort hin!“)
Wohin der Ruf Gottes mich noch führt, weiß ich nicht. Ich will offen sein, wach, spürig für die Impulse Gottes, für seine Winke, Fingerzeige, Klopfzeichen, für seine Stimme im Gewand des Alltags, in den Begegnungen und Widerfahrnissen. Ich will auf die innere Wahrheitsstimme hören. Wie Ignatius und Franziskus erfahre ich immer wieder: Gott lässt sich finden in allen Dingen.

Ich bin gespannt, was in der Beziehung mit IHM noch kommt.
Eines weiß ich: Sein Ruf hat etwas mit dem Geist der Seligpreisungen zu tun, mit franziskanischer Freude und Einfachheit, mit Liebe und Barmherzigkeit. Und solange ich mich diesem Geist öffne, dem Geist Jesu Christi, und mich ihm überlasse und aus ihm versuche zu leben, hoffe ich, einigermaßen auf dem Seil zu bleiben, das sich durch mein Leben spannt.

Liebe Schwestern und Brüder!


Einige Gedanken noch zu: Gebet + Arbeit / Aktion + Meditation


Als Ordenschristen können wir noch so viel und noch so Großartiges tun und bringen und leisten in der Kirche und in der Gesellschaft, auf caritativem, sozialem oder pastoralem Sektor, wir können noch so viel bewirken und auf die Beine stellen. Vielleicht bekommen wir gerade dafür viel Respekt und Anerkennung.
Das alles ist wenig, wenn die Menschen uns nur als Macher, Manager, Organisatoren erleben, als Menschen, die keine Zeit haben, die ständig auf die Uhr schauen und gehetzt, gestresst, ausgepowert sind. Das äußere Wirken, unser Schaffen und Machen ist wenig, wenn die Menschen nicht spüren: da lebt jemand mit Leib und Seele seine Berufung, da ist einer Feuer und Flamme, er hat eine leidenschaftliche Liebe zu Gott, wie Gott eine unbändige Liebe zu uns hat; da ist jemand, der nicht aus rissigen Zisternen, sondern aus tieferen Quellen schöpft; der aus einer tiefen Verbundenheit mit dem lebt, der uns liebt und sich für uns hingegeben hat.
Darum soll für uns das Gebet, die Meditation, der Gottesdienst erstwichtig sein, Vorrang haben. Dem sollen wir nichts vorziehen.
Gott kann nur dann durch uns in die Welt hinein wirken, wenn wir uns seinem Geist öffnen, dem Licht und der Kraft von oben.

Fragen wir einmal, ein jeder und jede sich selbst:
Auf Kosten wovon vermindern wir immer wieder die Zeit für das Gebet, die Stille, die Schriftlesung, die Meditation, den Gottesdienst? Ist es nicht unsere hektische Betriebsamkeit, unser ruheloser Aktivismus? Sind wir nicht ständig auf Trab, in action, eingespannt und darum angespannt? Sind wir nicht oft total in Anspruch und in Beschlag genommen von vielen Pflichten, Aufgaben und Terminen, oft über den Feierabend hinaus?
Und was beleibt auf der Strecke? Die Besinnung, das Ausruhen bei Gott, das Atemholen der Seele. Nicht wahr, das kommt am ehesten zu kurz. Daran wird am schnellsten abgezwackt und manchmal fällt es ganz aus.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Aktion gehört unbedingt zur Nachfolge Christi. Keine Frage! Nur sie muss vorher im Gebet, im Hören auf Gottes Wort, im Fragen nach seinem Willen ihren Grund gefunden haben. Es gilt immer wieder das Eine Notwendige zu suchen und es nicht zu versäumen. Jesus sagt: „Euch soll es zuerst um das Reich Gottes gehen.“
Es gibt also eine Reihenfolge, wenn nicht sogar eine Rangfolge: Meditation kommt vor Aktion, Empfangen kommt vor Geben, Sammlung vor Sendung. Das Wort braucht das Schweigen.
Das sind Gesetzmäßigkeiten. Was wir glaubend, hörend, betend empfangen, ist immer wichtiger als das, was wir selbst produzieren, schaffen, machen, vor allem, wenn wir uns selbst produzieren. Sonst gleichen wir einem leeren Krug oder einem wasserlosen Brunnen. So müssen wir uns immer wieder ausstrecken nach oben, uns öffnen für die Gaben und Gnaden Gottes, für seinen Leben spendenden Geist, uns erfüllen lassen von seiner Freude und seinem Frieden, von seinem Licht und seiner Kraft. Wir sind eingeladen, uns von Gott beschenken und lieben zu lassen. Nur der Beschenkte kann ein Schenkender und nur der Gesegnete ein Segnender sein.

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Ich bin sicher: wo wir uns vorbehaltlos in die Freundschaft mit Jesus Christus hineinbegeben und in der ständigen Begegnung mit ihm reifen, da geschieht mehr und da wirken wir mehr als nach außen hin sichtbar wird.
Sehen Sie: Das allein macht letztlich auch die Ordensberufung überzeugend und glaubhaft: die Freundschaft mit Christus, die tiefe Verbundenheit mit ihm, die immer wieder erneuert, gestärkt und gefestigt werden muss. Das allein macht unsere Berufung auch tragfähig.
„Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht.“

Ein Mönch trifft einen anderen und fragt ihn: „Wie kommt es nur, dass so viele das Mönchsleben aufgeben? Wie kommt das nur? Der zweite Mönch antwortete: „Das geht im Mönchsleben wie mit einem Hund, der einem Hasen nachsetzt. Er jagt ihm nach und bellt aus Leibeskräften. Viele andere schließen sich ihm an und sie jagen ihn miteinander. Doch dann kommt der Augenblick, in dem alle, die den Hasen nicht sehen, müde werden und einer nach dem anderen läuft davon. Nur die, die ihn sehen, halten durch bis zum Ende.“


Mit dem Ordenseintritt und der Profess ist es nicht getan.
Bloßes Mitgehen und Mitlaufen genügt nicht. Das führt bald zur Ermüdung. Und man gibt auf. Es bleibt nur auf dem Berufungsweg, wer auf Christus schaut und ihn im Blick hat.
Das heißt: Christ und erst recht Ordenschrist ist einer und kann einer nur sein und bleiben, wenn er sich immer und immer wieder an Jesus Christus orientiert, an seinem Leben Maß nimmt, das eigene Leben nach seinem Wort und seinem Geist ausrichtet und sich von ihm her bewegen, leiten, formen und bestimmen lässt.

Von Heinrich Spaemann stammt das Wort:
„Was wir vor Augen haben, das prägt uns, dabei werden wir verwandelt und wir kommen, wohin wir schauen.“
 

Vom heiligen Franziskus schreibt Thomas von Celano:
„Jesus trug er im Herzen, führte ihn im Munde, hatte ihn in den Ohren, trug ihn in den Augen, in den Händen, in seinem ganzen Wesen.“

Eine altgewordene Ordensfrau sagte:
„Es ist viel passiert in meinem Leben und viel hat sich geändert seit meinem Eintritt: Doch geblieben ist die Liebe.“

Fragen wir uns ruhig einmal:

 

IST GOTT MEINE GROSSE LIEBE?
 


Ich möchte meine Ausführungen beenden mit Worten von Papst Benedikt XVI. Und ich lade Sie als Ordensleute im Bistum von St. Gallen ein, seine Worte auf sich selber hin zu hören und zu Herzen gehen zu lassen.


Bei einer Audienz für Ordensleute der Diözese Rom sagte er am 10. Dezember 2005:

„Liebe Brüder und Schwestern! Die Kirche braucht euer Zeugnis, sie braucht ein geweihtes Leben, das sich mit Mut und Kreativität den Herausforderungen der Gegenwart stellt.
Angesichts des Hedonismus ist von euch das mutige Zeugnis der Keuschheit gefordert, als Ausdruck eines Herzens, das die Schönheit und den Preis der Liebe Gottes kennt.
Angesichts des Profitdenkens, das heute weite Kreise beherrscht, rufen euer genügsames Leben und eure Bereitschaft zum Dienst an den Notleidenden die Tatsache in Erinnerung, dass Gott der wahre und unvergängliche Reichtum ist.
Angesichts von Individualismus und Relativismus, die die Menschen dazu verleiten, sich nur an sich selbst zu orientieren, zeigt euer gemeinschaftliches Leben in der Fähigkeit, sich aufeinander abzustimmen, und damit auch in der Fähigkeit zum Gehorsam, dass ihr eure Selbstverwirklichung in die Hände Gottes legt.
Wie sollte man sich nicht wünschen, dass die Kultur der evangelischen Räte, die die Kultur der Seligpreisungen ist, in der Kirche wachsen möge, um das Leben und das Zeugnis des christlichen Volkes zu stärken?“
Weiter sagte Papst Benedikt: „Die geweihte Person lebt in ihrer Zeit, aber ihr Herz führt sie über das Zeitliche hinaus und sie zeigt dem heutigen Menschen, der oft von den Dingen dieser Welt eingenommen ist, dass seine wahre Bestimmung Gott selber ist.“
Zum Schluss dankte der Papst den versammelten Ordensleuten. „Danke, liebe Brüder und Schwestern, für den Dienst, den ihr dem Evangelium leistet, für eure Liebe zu den Armen und Leidtragenden, für eure Bemühungen auf dem Gebiet von Erziehung und Kultur, für das unablässige Gebet, das aus den Klöstern aufsteigt, für die vielen verschiedenen Aktivitäten, denen ihr nachgeht.
Die allerseligste Jungfrau Maria, Vorbild des geweihten Lebens, möge euch begleiten und beistehen, damit ihr für alle Menschen ein „prophetisches Zeichen“ des Himmelreiches sein könnt.
Ich versichere euch meines Gedenkens im Gebet und segne euch alle von Herzen.“

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