geistliche Impulse

www.pius-kirchgessner.de

Vortrag

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Maria und Marta

(Lk 10, 38 - 42)

 

I. Einführung

 

1. Martas Ärger und Vorwurf

Jesus kommt in das Haus der beiden Schwestern. Ein seltener, hoher und lieber Gast und dazu guter Freund! Schon lange haben sie auf diese Begegnung hingefiebert.

Maria setzt sich einfach zu Jesus hin und tut nichts als zuhören.

Marta dagegen hat alle Hände voll zu tun. Rastlos ist sie tätig. Schließlich platzt ihr der Kragen und sie beschwert sich bei Jesus, dass Maria ihr nicht hilft, dass ihre Schwester sie die ganze Arbeit allein tun lässt.

Ich hör da förmlich eine doppelte Ohrfeige klatschen:

indirekt, verhaltener gegenüber der Schwester, von der sich Marta alleingelassen fühlt und direkt, scharf in Gesicht Jesu: „Macht es dir eigentlich gar nichts aus, dass ich allein für dich, für euch alle hier herumschufte?“

 

2. Martas Gastfreundschaft

Ist der Ärger der Marta nicht verständlich? Sie schafft und sorgt, damit sich der Gast wohl fühlt. Jesus und den Seinen soll es in ihrem Haus an nichts fehlen. Das gebietet einfach auch die Gastfreundschaft, die im Orient noch viel mehr gilt als hier zu Lande. Gastfreundschaft wird hoch in Ehren gehalten. Gastfreundschaft zu verletzen oder gar zu verweigern ist etwas ganz Schlimmes.

Marta erfüllt das Gebot der Gastfreundschaft. Dafür ist ihr nichts zu viel und keine Anstrengung zu groß. Sie handelt also bewusst vernünftig und pflichtbewusst. Was Marta tut ist gut.

 

3. Jesu Reaktion

Wie reagiert Jesus? Er lobt nicht Marta, sondern verteidigt Maria, die nichts tut, nur zuhört. Das, was sie gewählt hat, sagt Jesus, soll ihr nicht genommen werden.

Behandelt hier Jesus Marta nicht irgendwie herablassend und eigentlich ungerecht? Müsste das, was sie tut - und sie tut es ja für ihn - nicht Anerkennung finden? Ist das nicht lobenswert?

Ich kann Frauen, Hausfrauen und Mütter gut verstehen, die sich, seit es diese Geschichte gibt, auf die Seite der Marta stellen, etwas ungehalten und verärgert, weil Jesus den Dienst der Marta anscheinend so wenig wertschätzt, ja im Gegenteil, ihr sogar zu all ihrer Arbeit und Mühe, die sie sich macht – so wie’s aussieht – noch eins auf den Deckel gibt.

Jesu Tadel ist schwer zu verstehen.

Wie kommt Jesus dazu, so zu urteilen, so hart, so ungerecht, so kränkend? - Sind Fleiß und Gastfreundschaft nicht anerkennenswerte Tugenden?

Ist Maria, die Untätige, nicht pflichtvergessen und unhöflich? - Doch dem, was mit den Augen der Marta so aussieht: untätig, pflichtvergessen..., dem gibt Jesus eindeutig den Vorrang, ja, er stellt es als das Entscheidende hin.

 

4. Rehabilitierung Martas

Es wurde schon immer versucht, Marta zu rehabilitieren.

Die Kirche hat es längst getan. Sie hat Marta in den Kreis der Heiligen aufgenommen und ihr ein eigenes Fest zuerkannt.

Die Liturgie tat ein übriges, indem es in einem Gebet am Gedächtnis der hl. Marta heißt: „Du hattest Wohlgefallen am Dienst der hl. Marta“, was man wahrhaft aus dem Lukastext nicht herauslesen kann.

 

5. Der Stachel

Die Geschichte hat einen Stachel. Sie reizt zum Widerspruch. Sie erhitzt die Gemüter und provoziert - wie kaum ein anderer Bibeltext - zu kontroversen Reaktionen. - Man hat vielfach versucht, diesen Stachel zu ziehen, aber er steckt immer noch drin - und das ist gut so. Immer dann nämlich, wenn ein Evangelium zu unserem Denken quer steht, heißt es aufgepasst!

Denn dann ist es oft so, dass etwas zur Sprache kommt, für das wir wenig Verständnis haben, das aber doch für ein Leben nach dem Evangelium und für ein Christsein im Alltag wichtig ist.

 

 

II. Annäherungsversuche und Verständnishilfen

 

Versuchen wir die Geschichte zu verstehen:

 

1. Jesus ist unterwegs nach Jerusalem

Die Erzählung gehört zum Sondergut des Evangelisten Lukas. Sie steht innerhalb des sog. „lukassischem Reiseberichtes“ (9, 51-19, 27).

Jesus hat keinen festen Wohnort. Er lehrt die Menschen in den Synagogen, auf dem Feld, auf dem Berg und zieht sich immer wieder zum Gebet in die Einsamkeit zurück.

Sein Weg führt ihn durch das Land der ungastlichen Samariter. Dort nimmt man ihn nicht auf, weil er unterwegs ist nach Jerusalem. - Dazu steht im Gegensatz die freundliche Aufnahme im Haus der Marta von Bedanken, das nahe bei Jerusalem liegt. „Bethanien“ ist mehr als eine Ortsangabe. Es ist ein Hinweis, dass die Vollendung des Weges Jesu bevorsteht. Jesus: auf dem Weg zur Passion in Jerusalem.

 

2. Gunst der Stunde

Weil Jerusalem das Ziel des Weges Jesu ist und ihn dort Leid und Tod erwarten, deshalb ist der Besuch bei Marta und Maria eine Chance, die nicht noch einmal kommt.

Bedenkt man das, dann bekommen die Begegnungen Jesu mit den Menschen, die er auf seinem Weg nach Jerusalem trifft einen ernsten Hintergrund. Wenn Jesus da auch bei Marta und Maria einkehrt, dann ist das auch eine einmalige, ja letztmalige Gelegenheit, Stunde der Entscheidung, „Termin mit Gott“. 

Was ist da wichtig, was das Gebot der Stunde, das eine Notwendige? Was ist da dran? Was nimmt mich da ganz in Anspruch? Was hindert, dass es zu einem Hören auf Jesus kommt und damit zu einer Begegnung mit ihm?

 

3. Der Herr - Verkünder des Wortes

Der hier im Haus der Marta zu Gast ist, ist nicht ein x-beliebiger Hausfreund, nicht irgendein Gast oder Lehrer. Es ist der Herr, der hinaufzieht nach Jerusalem. Es ist der, von dem die Stimme aus der Wolke auf dem Berg Tabor sagt: „Dies ist mein geliebter Sohn, auf ihn sollt ihr hören!“ Es ist der, von dem Petrus bekennt: „Herr, du hast Worte des ewigen Lebens.“

Jesus ist der Verkünder des Wortes. Sein Wort zu hören, ist wichtig. „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.“ Und dem Versucher in der Wüste antwortet Jesus: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt.“

Das Hören ist Voraussetzung für das Tun des Wortes. Ich kann das Wort erst befolgen, wenn ich es zuvor gehört habe.

Dem Hören kommt also in der Reihenfolge und Rangfolge eine übergeordnete Stellung zu, eine Vorrangstellung.

Die neue Familie Jesu ist dadurch gekennzeichnet, dass sie das Wort Gottes hört und danach handelt. „Selig, die das Wort Gottes hören und es befolgen!“ - Jesu Wort erfordert Aufmerksamkeit und Tun.

„Was er euch sagt, das tut!“ lautet das Wort Marias an die Diener bei der Hochzeit von Kana. Aber um tun zu können, was Jesus sagt, muss ich erst hören, was er sagt. Die Aufmerksamkeit, das Hören kommt vor dem Tun.

 

4. Zusammenhang und Umfeld der Marta-Maria-Erzählung

Es geht Jesus nicht darum, Gebet, Hören auf Gottes Wort einerseits und Arbeit und Aktion andererseits gegeneinander aufzuwiegen. In seinem Evangelium zeigt Lukas das deutlich auf.

Unmittelbar vor der Marta-Maria-Erzählung steht das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Es endet mit dem Satz: „Geh hin und tu desgleichen!“ Es betont das Gebot der Nächstenliebe.

Die Frömmigkeit des Priesters und Leviten ist hohl und leer, weil sie sich nicht auswirkt, weil sie keine Folgen hat. Vorbild wahrer Frömmigkeit ist der Samariter, der konkrete, praktische Liebe übt.

Die Marta-Maria-Erzählung widersprecht dem nicht. Das Gebot der Nächstenliebe wird keineswegs entkräftet. Aber die Marta-Maria-Erzählung betont, dass es nichts Wichtigeres gibt, als die Unterweisung Jesu zu hören, z.B. seine Veranschaulichung des Liebesgebotes im Samaritergleichnis.

Es geht also nicht um ein Entweder-Oder: Hören oder Tun. Das ist eine falsche Alternative. - Beide Texte sind Antwort auf die Frage des Gesetzeslehrers: „Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“ - Zunächst gilt: Mach’s wie der Samariter, der hilft, wo Hilfe nötig ist. Diese Aufforderung zur Hilfe und zur tätigen Liebe bleibt gültig. Sie wird jedoch durch die Marta-Maria-Erzählung ergänzt: Nicht nur das Helfen und Dienen ist das Erste und Einzige, sondern auch das Hören. Es gehört wesentlich zum Jünger Jesu und zum Christsein. Hören, was Gott sagt und was er von mir will. „Was willst du, Herr, dass ich tun soll?“

 

5. Hör- und dienstbereite Jüngerschaft

Das Samaritergleichnis betont das Tun des Guten: Der Blick geht nach außen zum Nächsten, zum Mitmenschen in Not, zu dem, der Hilfe braucht.

Die Marta-Maria-Erzählung wendet den Blick nach innen. Das, was nach außen geschieht, muss von innen her, vom Wort Jesu her, von der Gemeinschaft und Verbundenheit mit ihm her getragen sein.

Sofort nach der Marta-Maria-Erzählung steht bei Lukas das Vaterunser. Jesus betet. Und er betet so, dass seine Jünger ihn bitten: „Herr, lehre uns beten!“

„Geh hin und tu desgleichen!“ Und: „So sollt ihr beten!“

„Ora et labora“, Gebet und Arbeit, „Kampf und Kontemplation“, das sind die beiden Pole, zwischen denen sich das Leben des Christen abspielt.

Aktion gehört unbedingt zur Nachfolge Christi. Nur: sie muss zunächst in der Kontemplation, ihm Hören auf Gottes Wort ihren Grund gefunden haben.

Hat nicht Maria den guten Teil erwählt? Soll ihr der genommen werden? - Allerdings, das Hören der Maria darf nicht Selbstzweck sein. Dorothee Sölle sagt: „Der Mystiker schließt die Augen, aber er verschließt sie nicht vor den Aufgaben der Zeit und nicht vor den Zuständen der Welt. Er faltet die Hände, aber er tut das, um sie danach für seine Mitmenschen zu öffnen.“ Weiter sagt sie: „Mystik ist kein Ruhekissen für beschauliche Seelen, sondern Kraftquelle für Einsatz, Dienst und Sendung.“ Spiritualität ohne Solidarität kann zum Rückzug auf die private Ebene werden. Spiritualität hat Konsequenzen in der Lebensgestaltung und im Handeln.

Im Passauer Pastoralplan, einem Dokument zur Zukunft des Glaubens im Bistum Passau, steht der Satz: „Wer in das Geheimnis Gottes eintaucht, taucht neben dem Menschen wieder auf.“ Das stimmt. Ein wunderbarer Satz. Gott und Welt, Mystik und Alltag sind nicht zu trennen.

„Ubi caritas et amor, deus ibi est.“

Gott ist dort, wo Güte ist, Liebe, Fürsorge, Hingabe.

Wenn Maria wirklich Hörende ist, wird sie auch die nötigen Schritte tun und zum Handeln kommen. - Aber sie muss immer wieder zum Hören zurückkehren. Ihr Sitzen zu Füßen des Herrn ist dann kein Untätigsein, wie es in den Augen der Marta aus­sieht, sondern ein Sich-inspirieren-und-motivieren-Lassen, ein Fragen nach dem, was Gott will, dass sie tun soll, ein Sich-Disponieren für das rechte Tun, gleichsam ein Auftragholen.

Marias „Zu-Füßen-Jesu-Sitzen“ ist tiefer Ausdruck hör- und dienstbereiter Jüngerschaft.

Beispiele: Bruder Klaus von Flüe und Br. Konrad von Parzham

Die Zelle von Bruder Klaus im Ranft hat zwei Fenster. Das eine Fenster öffnet sich nach innen zum Altar, das andere nach außen zur Welt. Blick auf Gott und Blick auf die Welt! – Was aus der Welt der Menschen an Bruder Klaus herangetragen wird, bringt er im Gebet vor Gott. Was ihm im Gebet von Gott geschenkt wird, gibt er der Welt, den Menschen weiter. Ranft ist ein Ort der Nähe zu Gott und zu den Menschen. Dieses „und“ von Gott und Welt ist wichtig und soll unser Glaubensleben bestimmen.

 

6. Versinnbildlichung der nachösterlichen Gemeinde

Da kommt mir die Mutter Jesu in den Sinn kommen. Sie war ganz Hörende, ganz offen und ansprechbar für das, was Gott ihr durch den Engel sagen ließ. Mir kommt vor: Ihr „Mir geschehe nach deinem Wort“ ist in ihrer Namensschwester aus Bethanien, die dem Herrn zu Füßen sitzt und auf sein Wort lauscht, gleichsam in eine körperliche Haltung gegossen?

Wie die hörende Maria von Bethanien in der Mutter Jesu ein Vorbild hat, die das Wort Gottes gläubig hört und es in ihrem Herzen bewahrt und bewegt, so hat sie selbst Vorbildfunktion für alle, die nach dem Wort Gottes sich ausrichten und nach dem Evangelium leben wollen. Die lauschende Maria ist also eine Versinnbildlichung der nachösterliche Gemeinde. Diese wird nicht nur aufgehen dürfen in Pflichten und Aufgaben, im Organisieren und die Dinge Managen, im Tun und Machen und Leisten. Sie wird und muss vielmehr ihren Platz immer wieder suchen und einnehmen müssen „zu Füßen“ dessen, der Kyrios ist.

 

7. Ängstliches Sorgen - gläubiges Vertrauen

„Du machst dir viele Sorgen und Mühen...“

Der Evangelist Lukas sieht auch sonst in den Sorgen etwas, das Unheil und Verderben in sich hat. Sorgen können einen derart in Beschlag nehmen, dass Gott, sein Wort, das Hören und Befolgen dieses Wortes zu kurz kommt oder gar keine Chance hat.

Im Gleichnis vom Sämann ist davon die Rede. Jesu eigene Deutung lautet: „In die Dornen ist der Samen bei dem gefallen, der das Wort zwar hört, aber dann ersticken es die Sorgen dieser Welt und der trügerische Reichtum und es bringt keine Frucht.“ - Sorgen sind der Widerpart des Wortes Gottes.

Jesus ist die Warnung vor dem ängstlichen Sorgen, dem über­triebenen und verkehrten Sorgen ein ernstes Anliegen.

„Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, dass ihr etwas zu essen habt, noch um euren Leib und darum, dass ihr etwas anzuziehen habt... Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern?“

Ist Marta zu sehr besorgt um die Dinge der Welt? Müht sie sich zu sehr um die „Speise, die vergänglich ist“? Denkt sie nicht an das Wort Jesu, das er dem Versucher in der Wüste gegeben hat: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt?“

Marta erweckt den Eindruck, Gefangene ihrer Sorgen zu sein.

Es mangelt ihr das Freie, das Gelassene. Lässt sie sich vielleicht zu sehr von außen steuern und bestimmen, so dass sich Hektik und Ärger, Gereiztheit und Unzufriedenheit breit machen?

Wenn Franziskus Brüder aussandte zur Bußpredigt, verabschiedete er sie mit dem Satz: „Wirf deine Sorge auf den Herrn. Er wird dich ernähren.“ Ein Psalmwort – Kurzformel franziskanischen Lebens! Das war Stärkung ihres Vertrauens auf dem Weg der Pilgerschaft, Vertrauen auf Gottes Vorsehung.

In einem Franziskuslied lautet eine Strophe:

„Seht ich hab, einen Vater dort im Himmel! Der sorgt für mich, denn ich bin sein Kind. Was soll ich Sorgen mir machen? Lieber ist mir das Lachen und so pfeif ich alle Sorgen in den Wind.“

Im 1. Petr. 5,7 heißt es: „Werft all eure Sorgen auf den Herrn, denn er kümmert sich um euch!“

Der Theologe Odo Casel hat einmal gesagt: „Jeder Mensch ist so sehr in Gottes Hand, als sei er Gottes einzige Sorge.“

 

8. Marta: die Gebende  -  Maria: die Empfangende

Marta nimmt Jesus als Gast freundlich bei sich auf und bewirtet ihn. Sie scheint zu nächst die Gebende zu sein. Es geht ihr darum, was sie schaffen, bereiten und anbieten kann. Sie erschöpft sich in der Ausübung der Gastfreundschaft.

Marta beschäftigt sich mit ihrer Liebe zu Jesus!

Maria geht es um das, was Jesus anbietet und gibt. Sie hört und schaut genau hin, was er mitbringt. Es geht ihr um die Gabe, die Jesus hat und die er letztlich selber ist.

Maria beschäftigt sich mit der Liebe Jesu zu ihr!

Bei einem Besuch:

„Nun setz dich doch endlich mal hin! Wir haben ja gar nichts von dir!“

Jesus verbietet nicht die Arbeit. Aber es gibt Menschen, die vor lauter anbieten, schaffen, sorgen, hetzen, selber machen... nicht mehr nehmen und nicht mehr empfangen können.

Sie haben Hände und Herz Geist und Gemüt so übervoll, dass Gott gar nicht mehr geben kann.

(Klangschale!)

 

9. Jesu Stellungnahme

„Herr, kümmert es dich nicht...?“

An den Kyrios, den Herrn, wendet sich auch Marta in dieser Erzählung, weil sie sich anders nicht mehr zu helfen weiß. Sie wendet sich nicht an Maria, sondern fragt vorwurfsvoll Jesus: „Herr, kümmert es dich nicht...?“ (Seesturm: „Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?“„Wo ist euer Glaube?“)

Jetzt nimmt Jesus erst Stellung. Bisher hat er sich überhaupt nicht eingemischt. Er hat beide Schwestern gewähren lassen.

Er hat es zunächst gar nicht anstößig gefunden, wenn Marta sich um das leibliche Wohl kümmert und geschäftig tätig ist, während Maria ganz Ohr ist, ganz Zuwendung, ungeteilte Aufmerksamkeit und sich ganz auf sein Wort konzentriert. 

Jesus sagt zunächst nichts und greift nicht ein. (Wahrscheinlich hätte er Marta zuletzt für das gute Essen und ihren Dienst gelobt.) Erst als Marta selber anfängt, Unruhe rein zu bringen und herumzumosern; erst als sie anfängt, an ihrer Schwester zu mäkeln, als sie selber zu werten und zu gewichten beginnt und sich auch noch über Jesus aufregt, weil der sich nicht kümmert, erst als Marta aus allen Fugen gerät, die Fassung verliert, die Kontrolle über sich selbst und sich maßlos verrennt, da kommt es zur Konfrontation, da nimmt Jesus Stellung und erteilt ihr - man kann’s nicht anders nennen - eine Abfuhr.

 

10. Jesu Kritik

Was tadelt Jesus?

Wir müssen eines ganz deutlich sehen: Jesus tadelt nicht Martas Gastfreundschaft. Er tadelt nicht ihre Fürsorge ihm gegenüber.

Er tadelt nicht den Dienst, den sie an ihm und den Seinen tut.

Er achtet auch die häusliche Arbeit nicht gering.

Insofern hat das Kirchengebet am Fest der hl. Marta recht, in dem es heißt: „Du hattest Wohlgefallen am Dienst der hl. Marta.“

Jesus sagt: „Was sie (Maria) gewählt hat, soll ihr nicht genommen werden!“ - Ob es das „Bessere“ ist, wie die Einheitsübersetzung sagt, ist ungewiss. Wörtlich heißt es: Sie hat „den guten Teil“ (den für sie Guten) gewählt.

Jesus rechtfertigt das Verhalten Marias. Er lehnt es ab, dass Maria auch die Rolle der Marta übernehmen soll. Sie muss nicht, wie Marta meint, das gleiche tun wie sie. Maria muss nicht immer nach der Pfeife ihrer großen Schwester tanzen. Sie braucht sich von Marta nicht beherrschen und gängeln lassen.

Jesus tadelt, so gesehen, nicht die Hausfrau, die keine Zeit findet, ihm zuzuhören. Er tadelt die Frau, die zu wissen meint und bestimmen will, was ihre Schwester, ja, was Jesus zu tun hat. Denn auch Jesus wird kommandiert: „Sag ihr, sie soll mir helfen!“ 

Übrigens, was Maria tut, widersprach der gängigen Frauenrolle. Zu Füßen eines Rabbi sitzen war damals Männern vorbehalten. Männersache! Nach der Apostelgeschichte hat Paulus zu Füßen des Gamaliel die Tora studiert. Für Frauen gehörte sich und schickte sich das nicht.

Maria sprengt also nicht nur die Hausfrauenrolle, sondern auch die Geschlechterrolle. Und Jesus heißt es gut. „Maria hat den guten Teil erwählt. Der soll ihr nicht genommen werden.“

Als Jüngerin Jesu hat sie im Hören auf sein Wort getan, worauf es in dieser Situation ankam. Sie hat die Gunst der Stunde er­kannt. Sie hat das Heilsangebot der Gegenwart Christi genutzt, so wie es für sie gut war. Was sie aber für sich hier und heute als richtig erkannt hat, kann, muss aber nicht in gleicher Weise für Marta gelten. Die muss spüren, was für sie dran und stimmig und richtig ist und das umsetzen.

Jesus kritisiert also Marta nicht wegen ihrer Bemühungen als Gastgeberin. Wenn er etwas kritisiert, dann gilt sein Tadel, wenn wir genau hinsehen, etwas anderem, nämlich dem „unruhigen Besorgtsein um Vieles“. Wörtlich übersetzt sagt Jesus zu ihr: „Du sorgst dich und regst dich über vieles auf!“

Ihr „Dienen“ an sich ist nicht verkehrt. Die Gastfreundschaft, die sie ausübt ist nicht verwerflich. Im Gegenteil! Aber ihr Dienen ist unruhiges Sorgen, und zwar um Vieles. Es kann auch ein Zuviel des Tuns geben. Das ist vor allem dann der Fall, wenn man über dem Vielen, dem allzu Vielen, das eine Notwendige versäumt.

 

11. Martas innere Not

Die innere Not Martas liegt darin, dass sie nicht einmal in der Ge­genwart Jesu von ihrer ruhelosen Betriebsamkeit lassen kann. Noch mehr – und das ist wohl ihr eigentliches Dilemma: Sie ist uneins mit sich selbst. Die Frau ist völlig zerrissen.  

Einerseits will sie wie Maria Jesus zu Füßen sitzen und am Gespräch teilnehmen, andererseits will sie ihre wirklichen oder auch nur eingebildeten Pflichten als Haufrau erfüllen.

Sie möchte bei Jesus im Wohnzimmer sein und zugleich bei den Kochtöpfen in der Küche. Aber beides gleichzeitig geht nicht.

Auf diesen wunden Punkt legt Jesus seinen Finger:

Marta entscheide dich! Jede Entscheidung bedeutet aber auch einen Verzicht. Lebe das, was du wirklich willst! Sei in der Küche oder sei bei mir! (Teresa von Avila drückt es so aus: Wenn Fasten, dann Fasten, wenn Rebhuhn, dann Rebhuhn.) Nur eines geht. Jesus sagt: nur eines ist gefordert. Aber was du tust, das tue ganz, mit ungeteiltem Herzen. Maria hat gewählt. Das soll ihr nicht genommen werden.

„Ein in der Meditation erfahrener Mann, wurde einmal gefragt...“

In ihrem Innern ist Marta gegen ihre Schwester aufgebracht, weil sie sehr wohl spürt, dass sie selber auch den Teil wählen möchte, den Maria wählt. Marta neidet Maria ihren Platz, obwohl sie ihn selbst auch einnehmen könnte. Statt dessen geht sie in Sorge und Betriebsamkeit auf. Sie ist Gefangene ihres Aktionismus und hektischen Betriebsamkeit. Sie überschlägt sich fast mit all dem, was sie zubereiten, womit sie aufwarten, was sie auf den Tisch bringen will. F. Stier übersetzt: sie „schindet“ sich. Sie macht sich kaputt. Sie tut zuviel des Guten. So ein opulentes Mahl (Vier Gänge Menü) müsste es gar nicht sein. Er, der Wanderprediger, wäre mit einem einfachen Essen mehr als zufrieden.  

Vor lauter Sorge und Hast kommt Marta gar nicht dazu, Jesus zu fragen, ob er überhaupt Essen möchte, ob er überhaupt die Bedürfnisse hat, die sie meint, er müsse sie als Gast einfach haben. Sie legt Jesus auf die Rolle des Gastes fest, der sich an den Tisch zu setzen und zu essen hat.

So ist Marta für uns eine Anfrage, wie oft wir uns für andere sorgen und vieles für sie tun, ohne gefragt zu haben, ob sie das überhaupt möchten, ob das für sie überhaupt stimmt.

Man kann immer wieder erleben, wie auch Nächstenliebe den anderen vereinnahmt, anstatt hinzuhören, was der andere wirklich braucht. Wir sind so mit unserer Sorge, mit unserer Arbeit beschäftigt, dass wir gar nicht mehr fragen, warum wir das alles tun und ob das alles so sinnvoll ist, was wir tun, ob es wirklich das Leben anderer und mein eigenes fördert.

Und wir sind dann beleidigt, wenn uns jemand kritisiert.

Ich erlebe es immer wieder, wie gerade Menschen, die viel ar­beiten höchst empfindlich sind gegenüber jeder Kritik.

Sie arbeiten sich ja schon zu Tode. Wie kann da jemand überhaupt wagen, einen in Frage zu stellen? Die oder der soll erst mal selber so viel arbeiten wie ich, dann kann er mitreden. Wie kann die Frau den Mann, der jeden Abend spät von der Arbeit kommt, darauf ansprechen, dass er sich mehr um die Kinder kümmern sollte, weil sie den Vater brauchen. Er meint, er tue doch schon alles für die Familie. Aber dass die Kinder seine Zeit viel lieber möchten als das Geld, das verdrängt er. Oder wie kann der Mann von seiner Frau verlangen, mit ihm spazieren zu gehen, da doch noch so vieles im Haushalt zu erledigen ist. Wie kann er von ihr Zeit für ein Gespräch erbitten, da sie doch alle Zeit für die Familie aufopfert.

Oft genug verschanzen wir uns auch hinter unserer Arbeit, um nicht in Frage gestellt zu werden, um uns selbst zu beweisen, dass wir alles richtig machen.

Die Arbeit der Marta ist vielleicht gar nicht nur uneigennützig.

Sie sorgt sich nicht nur um Jesus, dass es ihm gut geht. Sie sorgt sich auch um ihren eigenen Ruf als Gastgeberin. Sie möchte im Vergleich mit anderen gut abschneiden. Jesus soll mit ihr zufrieden sein.

Hinter dem „Für-andere-Dasein“ kann ein großes Maß an Egoismus und Berechnung stecken. Es ist nicht selbstlos.

Die Absicht ist nicht rein. Es sind Nebenabsichten dabei.

Oft scheint die Arbeit zwar ein Dienst für andere zu sein. Aber in Wirklichkeit dienen wir uns selbst, unserem Image, dem Beliebtsein bei anderen Leuten. Was gut gemeint ist, kann sehr schnell zur eigenen Selbstbestätigung werden oder zur Mauer hinter der man sich verschanzt.

 

 

III. Schluss

 

1. Marta und Maria: zwei Seiten in uns

Jeder von uns trägt wohl Marta und Maria in sich.

Maria ohne Marta, das kann frommes Kreisen um sich selbst werden, eine Art spiritueller Narzismus. Marta ohne Maria wird schnell zum Aktionismus, zum Sichbeweisen durch Arbeit, durch helfende Nächstenliebe, die aber oft an den Bedürfnissen des anderen vorbeigeht.

Auch bei uns ist wohl die Marta stärker entwickelt. Gewöhnlich hat sie das Sagen. Auch in uns ist die Stimme lauter, etwas zu tun, was man vorweisen kann, wo etwas dabei herauskommt.

Der Andrang der alltäglichen Aufgaben und Probleme ist weithin derart stark, dass häufig keine Zeit mehr bleibt, nachzudenken, innezuhalten und Fragen zu stellen.

Wenn wir es wagen, wie Maria einfach in die Stille zu gehen und vor dem Herrn zu sitzen, um zu hören, was er uns sagen möchte, dann ertönt in unserem Innern die Stimme der Marta: „Tu doch was Gescheites, was Richtiges.“ Es gibt so viel zu tun. Dieses und jenes ist zu erledigen, zu organisieren, vorzubereiten, aufzuarbeiten. Wie kannst du dich einfach hinsetzen und deine Zeit mit Gebet, mit Meditation oder auch nur mit Spazierengehen oder einem Besuch oder Musik Hören vergeuden!“

Da muss Jesus auch bei mir für die Maria Partei ergreifen, dass ich nicht zum Gefangenen meiner Rolle und meiner Sorgen werde, dass ich mich nicht zu sehr von außen steuern lasse und die Aufgaben mich ersticken und die Forderungen mich erdrücken, dass ich vielmehr dem einen Notwendigen immer wieder Raum gebe, mir Zeit dafür nehme, dafür einiges andere lasse, mich nicht verzettele, mich konzentriere, um weniger, das aber vielleicht gründ­licher, ruhiger, freier, gelassener, mehr aus der Mitte heraus zu tun.

Es geht um ein Zu- und Ineinander von Stille, Hören und Tun, von Schweigen und Reden. Eines bedingt das andere. Nur so kommt Ordnung in unser Leben. Wir werden innerlich frei vom Vielerlei der Aufgaben und Dinge und von ängstlicher Sorge, vom Gefühl der Überforderung, vom Druck des Leistenmüssens, von der Er­wartung anderer, die etwas von uns wollen und an uns zerren. 

Meister Eckehard: „Die ein gutes Leben beginnen wollen, die sollen es machen wie einer, der einen Kreis zieht. Hat er den Mittelpunkt des Kreises richtig angesetzt und steht der fest, so wird die Kreislinie gut. Das soll heißen: Der Mensch lerne zuerst, dass sein Herz fest bleibe in Gott, so wird er auch beständig werden in all seinen Werken.“

 

2. Die Aktualität der Marta-Maria-Erzählung

Die Welt, in der wir leben ist vom Leistungsdruck bestimmt.

Es ist wie eine Droge. Und wir nehmen sie auf, wie die Luft, die wir atmen. Wir alle haben die Parole verinnerlicht: „Ich bin, was ich leiste!“ Tag für Tag wird uns auf alle mögliche Weise der Leistungskrampf eingeimpft.

Zeitgemäß ist: In Bewegung sein, die Hände rühren, ein voller Terminkalender. Für viele gibt es nichts als Arbeit und Hetze, oft über den Feierabend hinaus. Auch das Wochenende ist oft verplant. Das Tun, die Leistung stehen heute ganz oben.

Und wie oft sieht man vor lauter Bäumen den Wald, vor lauter Alltagskram die wesentlichen Dinge nicht mehr.

Rastlosigkeit bis zum Umfallen, Überbeanspruchung, Stress, hektische Betriebsamkeit, ruheloser Aktivismus. Wir stecken voller Gedanken und Absichten und Pläne, die unseren Geist ausfüllen. Wir sind ständig auf Trab, in action, eingespannt und darum angespannt. Und in Folge davon: ausgepowert, nervös, gereizt. Und das Menschliche, die Muße, das Geistliche kommt zu kurz.

In einem Hymnus im Stundenbuch heißt es:

„Wir atmen fiebrig und gehetzt,

der Streit flammt auf, das rasche Wort;

in deiner Nähe, starker Gott,

ist Kühlung, Frieden und Geduld.“

Fragen wir uns einmal: Haben wir noch Zeit für Unerwartetes, für Unvorhergesehenes, die Zeit in uns hineinzuhören.

Oder eine andere Frage: Auf Kosten wovon vermindern wir immer wieder die Zeit für das Gebet, die Stille, Besinnung, Meditation, Gottesdienst...? Muss aber, wer zur Besinnung kommen will, nicht immer wieder ausspannen, zur Ruhe kommen, innerlich leer und neu aufnahmebereit werden? Muss, wer die leise Stimme Gottes vernehmen will, nicht still werden, aufmerksam, lauschen, hören?

Was Marta tut, fällt uns in der Regel leicht. Sie hat die besseren Karten. Es entspricht dem Zeitgeist. Und der macht auch vor Pfarrhaustüren und Klostermauern nicht halt.

Dem heutigen Zeitgeist entsprechend sind Menschen oft nur noch so viel wert wie sie leisten können und Erfolg haben.

Ein fatales Nützlichkeits- Profit- und Prestigedenken macht sich allseits breit. Und das Menschliche kommt zu kurz oder bleibt auf der Strecke.

Es gibt eine Gesetzmäßigkeit: Meditation kommt vor Aktion, Empfangen kommt vor Geben, Sammlung vor Sendung.

Das Wort braucht das Schweigen. Sonst gleichen wir einem leeren Krug oder einem wasserlosen Brunnen. Wir gehen auf in vielen Aufgaben, Forderungen, Pflichten und Erwartungen. Und am Schluss gehen wir darin unter. Nur der Beschenkte kann ein Schenkender sein und nur der Gesegnete ein Segnender.

Wir sind eingeladen, uns von Gott beschenken, uns von Jesus lieben zu lassen. Das, was wir hörend, glaubend, betend empfangen, ist immer wichtiger und mehr als das, was wir selbst tun, bringen und leisten.

„Marta“ heißt auf deutsch „Herrin“. Auch in uns ist Marta meist die „Herrin“. Sie hat das Sagen. Sie gibt den Ton an.

Was Maria tut, das, was sie wählt, das Eine, das notwendig ist, das müssen wir immer wieder einüben und uns dafür offen machen. Das kommt am ehesten zu kurz. Daran wird am schnellsten abgezwackt.

Die Maria in uns ist oft noch sehr unterentwickelt und hat Nachholbedarf. Die meisten Zeitgenossen haben Schlagseite zur Marta. Da muss Jesus auch bei uns für Maria Partei ergreifen, damit auch sie zu ihrem Recht kommt und damit beide, Maria und Marta, ins uns leben können, möglichst harmonisch, und unser Leben stimmig wird.

Arbeiten werden wir immer viel.

Auf das eine Notwendige müssen wir eigens achten lernen.

„Meist sind wir wie MARTA, jene geschäftige Frau.

Wir warten täglich auf mit tausend Dingen

und meinen das Glück zu verdienen,

 während die Sorge uns beinah erstickt.

MARIA, der Schwester, neiden wir manchmal den Platz

 und könnten doch jederzeit schweigen und ruhen  zu Füßen des Herrn,

um sein Wort zu pflanzen tief innen, wohin keine Sorge dringt.“

                                                                                   (Conrad Miesen)

 

„Herr, schenke uns die Sammlung der Maria,

damit unser Marta-Mühen gelingen kann!“