geistliche Impulse

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Bildmeditation

von P. Pius Kirchgessner, OFMCap

 

Das Mahl der Sünder

(Bildmeditation zu einem Bild von S. Köder - 1973)

 

Einführung

 

Südlich von Rom befindet sich in einem Landhaus in San Pastore ein Bild von Sieger Köder. Dieses Landhaus gehört zum Germanicum, dem Studienkolleg der deutschsprachigen, römischen Theologiestudenten. Das Bild hängt im Speisesaal, wo die Studenten der Theologie und Priester sich zu den Mahlzeiten versammeln.

 

1. Eine Abendmahlsdarstellung ganz besonderer Art

 

Denn: Um den Tisch des Paschamahles sitzen nicht die zwölf Gefährten Jesu in vertrauter Runde,  sondern sieben Personen, bunt zusammengewürfelt die uns zunächst fremd erscheinen, drei Frauen und vier Männer. ‑ Nach Jesus ihrem Herrn suchen wir vergeblich. Der Maler sieht ihn dort gegenwärtig, wo wir, die Betrachter sind. ‑ Die Blicke der Tischgenossen sind auf ihn gerichtet. Sichtbar sind nur seine Hände.

Die Linke lädt ein oder weist auf den Becher, die rechte hält das Brot. ‑ Es blüht auf dem Tisch etwas Zartes, Kostbares auf, ausgedrückt im Bild der Rose.

 

2. Das Bild meditiert ein Kernstück der biblischen Botschaft:

 

die Gemeinschaft Jesu mit den Sündern, mit den Außenseitern der menschlichen Gesellschaft. Allerdings: das Bild von Sieger Köder rückt diese Tischgemeinschaft aus dem Einst ins Heute, aus dem Damals ins Jetzt herein, in die lebendige Gegenwart. Das Bild befindet sich ja im Speisesaal von San Pastore und oben rechts wird der kleine, auf Felsen gebaute Nachbarort Gallicano sichtbar.

 

3. Wer wäre es heute, mit dem Jesus Mahl halten wollte?

 

Gibt es eine solche Tischrunde wirklich irgendwo?

Sieger Köder wählt eine Gruppe von Menschen, wie sie wohl kaum jemals wieder zusammensitzen wird, weder in der Bannmeile von Rom noch an einem anderen Ort.

 

Aber all jenen Menschen gemeinsam ist die Suche nach einem lebendigen Du. Sie erwarten eine Antwort auf die Frage nach dem Heil und dem menschlichen Glück. In diese Gesichter ist die Sehnsucht geschrieben nach einem, der sie frei macht aus innerer und äußerer Verstrickung, der sie durch das Angebot seiner Liebe hoffen lässt über die Mühsal ihrer Tage hinaus.

 

4. Wer sind die Gefährten Jesu hier und heute?

 

Folgen wir der Runde von rechts nach links.

 

Da ist ganz rechts der Afrikaner, einer aus der Dritten Welt, mit verbundenem, Arm und blutbeflecktem Kittel, verwundet im Kampf um das Lebensrecht seines Stammes; vielleicht handgreiflich geworden für die Anerkennung seiner Hautfarbe, ein Habenichts, ein Überflüssiger, den keiner braucht. Er ist das Gesicht aus den Gettos der Schwarzen ‑ geschunden, gequält.

 

Da ist eine vornehme Dame, aus besseren Kreisen, standes- und traditionsbewusst. Eigentlich will sie ja mit diesem Gesindel nichts zu tun haben, nur nicht die Hände schmutzig machen.

 

Weiter: ein Intellektueller mit Brille und Bart, möglicherweise ein Student, vielleicht ein Linker, jedenfalls einer, der in Frage stellt, ein Zweifler und deshalb zum Ärgernis geworden ist.

 

Dann kommt ein Clown, ein Harlekin hinter der Maske verborgen: Traurigkeit, Sehnsucht (ein besonderer Liebling des Malers, der in vielen seiner Bilder wiederkehrt) ein Mensch, der im Spiel der Ironie Realität und Alltag erträglich macht, zwischen Lachen und Weinen ein Spiegel unseres Lebens.

 

Hier ist sodann eine alte, blinde Frau mit verhärmtem Gesicht von Armut und Trauer gezeichnet, von schwarzem Tuch umhüllt, die Hände auf dem Tisch übereinander gelegt, vornüber gebeugt, lauschend, weil sie den Gastgeber nicht sieht, weggeholt vom Bettel-Job an irgendeinem viel besuchten Heiligtum.

 

Neben ihr die Dirne, eine von den Tausenden registrierten ‑ oder illegalen ‑ Frauen des ambulanten Gewerbes, die die Via Appia säumen und auch die Straßen auf dem Weg nach San Pastore. Für sie ist Liebe käuflich und verkäuflich, Ihr Körper ist ihr Kapital, ihr Geschäft. Ihr Leben ist ohne Heimat, ohne einen Ort, wo sie hingehört.

 

Ganz links dann der jüdische Rabbi. Sein Gebetsschal zeigt seine Treue zum Gesetz, das Gott gegeben hat, dem er sich ausliefert auch in tiefster Not, in Verfolgung und Hass, am Rande der Verrichtung, immer noch wartend auf den Messias, den Retter der Welt, der dem Gesetzestreuen Gerechtigkeit verschafft. Sein Gesicht erinnert an die Gesichter, die man von den schrecklichen Bildern aus den Konzentrationslagern kennt.

 ‑ Eine feine Gesellschaft also. –

Der Tischherr kann mit diesen Gästen "keinen Staat machen".

 

5. Eine seltsame Gesellschaft

 

mit leeren Gesichtern, mit leeren Augen, ‑ Augen, die durstig sind nach einem Menschen, der ihnen Vertrauen schenkt, der sie annimmt wie sie sind, der nicht fragt, wer seid ihr, wo kommt ihr her, was taugt ihr denn; ‑ Augen, die fragen, was weißt du über uns, unsere Not, unsere Verzweiflung, unsere Angst und Einsamkeit? Kennst du unsere ausgebrannten Her­zen? ‑ Augen, die eine Antwort finden in dem, der sich mit ih­nen an einen Tisch setzt, mit dem, der nicht nur von Liebe re­det, sondern sie lebt und Ansehen gibt den Unansehnlichen.

 

6. Wo wäre auf diesem Bild für mich ein Platz?

 

Wo fühle ich mich hingezogen? Kann ich mich ein Stück weit identifizieren mit der jeweiligen Angst und Not dieser Menschen? Kann ich mich angerührt fühlen von ihren Leiden und Leidenschaften, weil es die meinen sind, die sich hier siebenfach entfalten?

 

Haben wir schon genug von diesem Bild?

Denken wir: es handelt sich ja doch von Leuten nicht meines Schlages ... Wollen wir uns lieber nicht in besserer Gesellschaft Jesus zuwenden? Aber wenn wir so denken und so gesinnt sind werden wir den Herrn vergeblich suchen. Als Arzt finden wir ihn bei den Kranken, nicht bei den Gesunden, als Heiland bei den Sündern, nicht bei den Gerechten.

Solange nicht auch ich mich zu meinen Mängeln, zu meinen Schwächen und meinem Elend bekenne, solange ich meine Bedürftigkeit und Armut nicht wahrnehme und mich damit zu jenen Gästen auf diesem Bild bekenne, habe ich keine Chance am Tisch Jesu zu sitzen.

 

7. Der letzte Platz

 

Der Maler geht noch einen Schritt weiter:

Wie wäre es denn, wenn wir den achten Platz einnehmen würden, den Platz dessen auf den alle Blicke gerichtet sind?

Dann wären wir der Gastgeber und hätten jene Sonderlinge und Unbequemen, die Herausforderer und Ärgernisse an unse­ren Tisch geholt, um ihnen das Mitzuteilen, was Jesus ihnen gab und wofür die Rose steht: Verständnis und Vergebung, Angenommensein und Vertrauen, Beachtetsein und Würde.

 

Der letzte Platz beim Mahl der Sünder ist eine Herausforde­rung. Wenn ich als Christi Bruder mitten unter Brüdern und Schwestern sitze, dann kann ich nicht wohltätig den feudalen Bewirter spielen, gönnerisch, von oben herab.

Es genügt auch nicht, dass ich Kultvorsteher einer Zeremonie bin, sondern es kommt darauf an, dass ich Anteil habe und teilnehmen will, nicht nur an Brot und Wein, sondern auch am Schicksal der anderen, an ihrer Verzweiflung, ihren Sorgen, ihrem Leid, an ihrem Anspruch auf Versöhnung und Schutz.

 

Anteilnehmen - und - teilhaben - können ist aber nur dann möglich, wenn ich die Barrieren durchbreche, die uns alle umgeben: gesellschaftliche Tabus, Unverständnis, Hochmut, Fanatismus, Egoismus, Interesselosigkeit und Gleichgültigkeit, Angst vor der Beanspruchung, mich mit einer unbequemen Art von Elend einzulassen.

Symbol jener Liebe, die Grenzen überwindet, ist die kleine Rose in einem der Glaskrüge, wie sie zur Essenszeit in Italien mit Wein gefüllt werden.

Die Rose steht zwischen dem Herrn und dem Clown wie eine zarte Verständigung zwischen den beiden, die an der Liebe zum Menschen leiden.

 

8. Der barmherzige Vater

 

Im linken Teil des Bildes, hinter der Tischgemeinschaft, erhebt sich die Saalwand. Sieger Köder hat sie mit einem Fresko ausgestattet. Es ist das Motiv des barmherzigen Vaters und verlorenen Sohnes.

Der Vater umarmt den Heimgekehrten, der sich an seine Brust wirft. In der Umarmung erfährt er Versöhnung und erlösende Befreiung aus aller Not.

 

Daneben aber, abgewendet von der Szene der Heimkehr, sitzt der gerechte, getreue Sohn, der Bruder ohne Dreck am Stecken, ohne Fehl und Tadel, gefangen in seinem Trotz, in der Rebellion und der Auflehnung. ‑ In dieser Gestalt findet das Bild seinen negativen Pol: der in sich selbst gefangene Mensch, der weder Versöhnung braucht, noch Versöhnung zulassen will.

 

9. Stein des Anstoßes

 

Leicht zu übersehen auf dem Bild, aber dennoch da:

der Stein des Anstoßes auf der Türschwelle; vom Maler bewusst dargestellt, denn sein Bild will Stein des Anstoßes sein.

 

Anstoß, Ärgernis, Empörung, Skandal, das war Jesu Mahlgemeinschaft mit den Sündern für die Frommen: das darf nicht sein; das geht zu weit, das war noch nie so, wo kommen wir denn da hin, das ist gegen jede Regel, das ist gegen jede Gewohnheit, unmöglich ... Sind uns diese Redewendungen nicht bestens vertraut?

 

Anstoß, Ärgernis, Skandal: die Randexistenzen erhalten Lebensraum, die Abgeschriebenen werden aufgewertet, die Unansehnlichen erhalten Ansehen, die Heillosen werden geheilt. ‑ Jesus: Stein des Anstoßes, ‑ Jesus, der Gesetze und Normen so auslegte, wie sie für den Menschen gut waren, wie sie das Leben wachsen und gedeihen ließen.

 

Jesus, der zeigte: das Gesetz ist für den Menschen da, um zu heilen, zu bewahren, nicht klein zu halten, zu fesseln, zu töten, auszuschließen und zu verurteilen.

 

Jesus, der Althergebrachtes aus den Angeln hob, neue Wege einschlug.

 

Jesus, Stein des Anstoßes, gibt zu denken, beunruhigt die Ruhigen, verunsichert die Sicheren, überrascht und fordert heraus.

 

Jesus: Anstoß zum Neuanfang zum Umdenken.

Nicht mehr, man handelt so, man ist so, sondern ich bin gefragt, wie gehst du mit deinem Bruder, deiner Schwester um? Welche Maßstab gilt: Sitte, Anstand, Ordnung oder Leben, Zeichen, Liebe, Freundlichkeit?

 

Der Stein des Anstoßes liegt auf der Türschwelle, auf dem Weg. Wer hinein will kommt nicht daran vorbei. Wer hinaus will kommt nicht daran vorbei. Stein des Anstoßes auch auf meinem Weg!?

 

Wie feiern wir Christen Mahl, Eucharistie?

Feiern wir es einladend? So dass alle kommen können?

Wen schließen wir aus?

Ist es ein Mahl der Einheit oder der Trennung?

 

Noch etwas: ... der Mann, der mich verrät und ausliefert, sitzt mit mir am Tisch" (Lk 22,21), sagt Jesus. Im Augenblick der Gemeinschaft liegt der Keim des Verrates.

 

Entscheidend bleibt, dass hier die Kleinen, die Armen, die Verstoßenen, Geschändeten und Verachteten anwesend sind. Ob wir mit ihnen das Brot brechen, daran wird man uns erkennen? "Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, und denen gebt, die euch geben, welchen Lohn wollt ihr dafür erwarten?"

 

Schluss

 

Wir haben das Bild betrachtet.

Bleiben wir nicht stehen bei der Eigenwilligkeit dieser Abendmahlszene.

Versuchen wir den Blick jener Tischgenossen auszuhalten, der uns auffordert, uns auf den Weg zu machen an jenen Platz, den Jesus als Mensch unter Menschen eingenommen hat.