Liebe Angehörige der
Menschen, die hier im Kreszentiastift gelebt haben und die in den
zurückliegenden Monaten verstorben sind, liebe Mitbewohner und
Mitbewohnerinnen, liebe – im Kreszentiastift – Pflegende, Angestellte
und Mitarbeitende!
Wir haben soeben eine
schöne und – ich muss sagen – sehr berührende
Geschichte von zwei Blättern gehört. Die beiden Blätter
unterhalten sich miteinander. Sie denken über ihr Leben nach. Sie
erinnern sich, wie sie einst leuchtend grün waren, lebendig, frisch und
voll Energie.
Jetzt hängen sie verwelkt,
saftlos und kraftlos an einem kahlen Ast. Viele ihrer Freunde sind
bereits gefallen. Sie spüren die Kälte und Einsamkeit.
In dem Gespräch der beiden
Blätter kommen Sätze vor wie: „Ich habe Angst vor dem, was kommt.“
„Ich möchte festhalten…, aber ich weiß, dass ich loslassen muss.“
Und: „Es ist schwer Abschied zu nehmen.“ Am Schluss löst ein
Windstoß eines der Blätter und es fällt sanft zur Erde.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Mir kommt vor: In den
beiden Blättern können wir uns selbst ganz gut wieder finden. Und je
älter wir sind, desto besser und desto mehr.
Sind ihre Gedanken nicht
oft auch unsere Gedanken?
Kennen wir nicht auch
dieses selige Sich-Erinnern an frühere Zeiten, wo wir mitten im Leben
standen, jung, dynamisch, fit, voll Kraft und Energie? Und ist das bange
Fragen der beiden Blätter – z.B. wie es weitergeht und was noch kommt –
nicht oft auch unser Fragen? Sind Ihre Unsicherheiten und Ängste nicht
oft auch unsere Unsicherheiten und Ängste?
Zum Beispiel die Angst,
letztlich nichts festhalten zu können, sondern loslassen und Abschied
nehmen zu müssen?
Liebe Schwestern und
Brüder!
Es gibt Momente im Leben,
da steht die Welt für einen Augenblick still. Der Tod eines lieben
Menschen, eines nahen Angehörigen oder Freundes ist so ein Moment, wo
die Welt für einen Augenblick stillsteht. Und wenn sie sich dann wieder
weiterdreht, dann kann es sein, dass nichts mehr ist, wie es vorher war.
Wir gedenken heute all der
Menschen, die hier im Kreszentiastift im letzten halben Jahr verstorben
sind. Einen Menschen zu verlieren ist immer schmerzlich. Solches
hergeben, loslassen müssen ist – wie bei den beiden Blättern – nicht
immer einfach. Es kann schwerfallen, es kann bitter sein und es kann weh
tun, unter Umständen sehr weh. – Ganz besonders schmerzlich ist es für
diejenigen, die dem oder der Verstorbenen nahestanden, denen er oder sie
lieb und teuer war.
Das sind zuerst natürlich
die nächsten Angehörigen, die unmittelbar betroffen sind und die den
Verlust des geliebten Menschen am meisten spüren. – Das sind aber
vielleicht auch Mitbewohner, die ihre Zimmernachbarin vermissen oder
jemanden, der einfach zu ihnen gehört hat auf der Station – wie in einer
großen Familie. – Auch für die Pflegenden ist es schmerzlich, Menschen
zu verlieren, die ihnen über Wochen, Monate, vielleicht Jahre – bei der
Pflege, beim Da-Sein für sie, beim Sich-Kümmern um sie – vertraut
geworden oder sogar ein Stück weit ans Herz gewachsen sind.
Bei manchen ist erst eine
kurze Zeit vergangen und deshalb ist die Trauer noch groß und heftig.
Bei anderen liegt der Abschied schon länger zurück und es ist womöglich
bereits wieder Alltag eingekehrt. Das Leben geht ja weiter. – Und
trotzdem ist nichts mehr wie vorher. Eine Lücke ist geblieben, die
niemand sonst ausfüllen kann. Denn jeder Mensch ist auf seine Art
einzigartig und liebenswert.
Und, so denke ich, ist es
hilfreich und gut, Trauer nicht zu unterdrücken, sondern sie zuzulassen
und ihr Raum zu geben.
Das geschieht auch in
dieser Stunde, wenn nachher die Namen der Verstorbenen genannt werden,
wenn für jede und jeden von ihnen eine Kerze angezündet wird und wenn
wir für unsere Verstorbenen beten.
Hilfreich, heilsam und gut
scheint es mir aber zu sein, wenn es heute aus Anlass dieser Gedenkfeier
nicht bei der Trauer und beim Schmerz über den Verlust und die Lücke
bleibt, die der oder die Verstorbene hinterlassen hat, sondern wenn auch
Dankbarkeit aufkommt, Dankbarkeit für diesen einzigartigen Menschen,
dass Sie, dass wir ihn gehabt haben, dass wir ihn kennenlernen und mit
ihm zusammen sein durften. Dankbarkeit für all das Gute und Schöne, das
wir durch ihn erfahren oder mit ihm erlebt haben.
Dank für jedes gute Wort,
das wir hören durften, Dank für jedes Zeichen der Liebe, das uns
geschenkt wurde. Dank für den Humor, die Gelassenheit, den Frieden, den
jemand ausgestrahlt hat, Dank für jahrelange, vielleicht jahrzehntelange
Freundschaft oder Partnerschaft, Dank, dass jemand -bei allen Grenzen
und Unvollkommenheiten – einfach ein lieber Mensch war. Dank womöglich
auch für den Glauben, den die oder der Verstorbene bezeugt hat.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Manchmal fragen wir uns:
Was wird aus denen, die hier im Leben zu uns gehört haben und die jetzt
nicht mehr leben?
Und wo werden auch wir
alle einmal hingehen? Wir haben da ganz unterschiedliche Vorstellungen.
Und das darf auch so sein. Aber uns alle kann trösten, was der Apostel
Paulus sagt:
„Ich bin gewiss: weder
Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder
Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere
Kreatur (nichts, rein gar nichts) kann uns scheiden von der Liebe
Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“
Hier könnte gut und gern
ein „Amen“ stehen. Ich möchte aber zum Schluss noch einmal den Bogen
spannen zur Geschichte von den zwei Blättern, die sich unterhalten. Und
ich möchte es tun mit dem Gedicht von Rainer M. Rilke, das den Titel
trägt:
Herbst
Die Blätter fallen,
fallen wie von weit,
als welkten in den
Himmeln ferne Gärten,
sie fallen mit
verneinender Gebärde.
Und in den Nächten
fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in
die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese
Hand da fällt.
Und sieh dir andre an:
es ist in allen.
Und doch ist Einer,
welcher dieses Fallen
unendlich sanft in
seinen Händen hält.
Mögen Sie Ihren Weg
weitergehen können mit der gläubigen Zuversicht und mit der tröstenden
Gewissheit, dass Gott den Menschen, den Sie gehen lassen mussten, für
immer in seinen Händen hält. Und glauben Sie mir: Gottes Hände sind gute
Hände. Es sind bergende und heilende Hände. |