Erste Lesung
Hört dieses Wort, die
ihr sagt: „Wir wollen für Geld die Geringen kaufen“
Lesung
aus dem Buch Amos
4Hört
dieses Wort, die ihr die Armen verfolgt und die Gebeugten im Land
unterdrückt!
5Ihr
sagt: Wann ist das Neumondfest vorbei, dass wir Getreide verkaufen, und
der Sabbat, dass wir den Kornspeicher öffnen können? Wir wollen das
Hohlmaß kleiner und das Silbergewicht größer machen, wir fälschen die
Waage zum Betrug,
6um für
Geld die Geringen zu kaufen und den Armen wegen eines Paars Sandalen.
Sogar den Abfall des Getreides machen wir zu Geld.
7Beim
Stolz Jakobs hat der Herr geschworen: Keine ihrer Taten werde ich jemals
vergessen.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Die Bibel ist zwar ein
altes Buch, doch stehen ganz aufregende und hochaktuelle Sachen darin. –
Ein Beispiel dafür ist die Lesung aus dem Buch Amos, die wir heute
gehört haben.
Der Prophet Amos
lebte vor ca. 2800 Jahren. Von Beruf war er Bauer. Er hatte eine
Rinderherde und eine Feigenplantage. Er züchtete Maulbeerfeigenbäume. –
Doch eines Tages fängt er an, die Machenschaften der Oberschicht zu
durchschauen. Und er protestiert dagegen mit unglaublicher Schärfe und
Heftigkeit. Prophetische Kritik – im Namen Gottes!
Keine leichte Aufgabe:
Amos muss sehr frommen Menschen sagen, dass ihre Frömmigkeit vor Gott
nichts wert ist, weil sie – trotz ihrer Frömmigkeit – die Gerechtigkeit
mit Füssen treten.
Amos beobachtet z.
B. auf dem Markt, wie die Händler Gewichte fälschen, Maße und Waagen
manipulieren und den Leuten Schund verkaufen für gutes Geld – Vorläufer
der Weinpanscher und Lebensmittefälscher.
Er beobachtet, wie
die Reichen ihre Monopolstellung schamlos ausnutzen und die kleinen
Leute immer mehr in Abhängigkeit und Armut geraten.
Am Sabbat und an
Feiertagen, da sitzen diese skrupellosen Geschäftemacher wie auf
heißen Kohlen. Sie können das Ende kaum erwarten. Der Rubel muss rollen.
Feiertage sind lästig. Sie bedeuten Gewinnausfall. Time is money. Allein
der wirtschaftliche Gewinn zählt. Ihre Gier nach immer mehr, ihre
nimmersatte, zügellose Habsucht, macht auch dort nicht halt, wo andere
dadurch Schaden erleiden. Keine Spur von Solidarität und Menschlichkeit!
Und die Leidtragenden
sind die Armen, die Schwachen, all jene, die darauf angewiesen sind,
dass sie überhaupt einen Lohn bekommen – und die man deshalb für „ein
paar Sandalen“ kaufen kann – also mit einem Hungerlohn.
Gipfelpunkt der
prophetischen Kritik: Sie schrecken nicht davor zurück, die
hilflosen Opfer ihrer Machenschaften in die Schuldensklaverei zu treiben
und sie zur Handelsware zu degradieren. Und wer einmal abhängig ist,
erniedrigt und unterdrückt, der kommt aus eigenen Kräften kaum mehr aus
diesem Zustand heraus.
Amos spürt genau:
Wo sich alles nur noch um Geld und Profit dreht, wo Gewinnmaximierung
alles ist, wo man den Menschen nur noch unter dem Gesichtspunkt sieht:
wie kann ich mir seine Arbeitskraft zunutze machen, wie kann ich ihn
über den Tisch ziehen, wie kriege ich sein Geld in meine Tasche, da geht
alle Menschlichkeit baden. – Wo man Feiertage und religiöse Feste nur
noch als Verdienstausfall sieht, ist das Bewusstsein verloren gegangen,
dass es wichtigere Dinge gibt als Geld.
Dabei lebt Amos in einer
Zeit wirtschaftlicher Blüte. Die Geschäfte gehen gut, die Bilanzen
stimmen. – Aber: es geht nicht allen gut.
Egoismus und Gier spalten
die Gesellschaft. Wohlstand und Luxus auf der einen Seite, Ausbeutung
und Erniedrigung auf der anderen Seite. – Die einen werden immer
reicher, die anderen immer ärmer. Und das bringt Amos in Rage. Darum
seine aufreizende Sprache. Darum greift er die Unmoral der Neureichen so
massiv an.
Es ist klar: Solch
deutliche Worte hört niemand gern, damals wie heute. Das Establishment
ist aufgebracht. Helle Empörung!
Was passiert? Der
unbequeme Prophet wird vom Priester des Heiligtums in Bet-El beim König
verpfiffen. Amos erhält Redeverbot. Und wird des Landes verwiesen.
Liebe Mitchristen!
Ich habe gesagt: die
Themen, die Amos anprangert, sind brandaktuell. Ja, das gibt es auch
heute noch: Wucher, Korruption, Betrug, Kredithaie, Preistreiber,
Spekulanten, Wirtschaftskriminalität, weltweite Ungerechtigkeit.
Drei Beispiele:
Erstens: „Schutz
des Sonntags“, Schutz des Tages, der eigentlich Gott gehören soll.
Ein Tag, an dem niemand Geschäfte machen soll, sondern an dem die Arbeit
ruhen möge. Zeit für sich, Zeit für die Familie, Zeit für Erholung, Zeit
für Gott.
Zweitens: Die
Ausbeutung der Armen und Kleinen. Die Ausbeutung jener, die für
„Hungerlöhne“ arbeiten müssen, weil sie sonst gar nichts haben. Und die
„Hungerlöhne“ sind so niedrig, weil wir das so haben wollen. Denn
wir kaufen halt lieber die Billig-Produkte. Und die „fair-gehandelten“
Produkte bleiben stehen. Zu teuer! Aber diejenigen, die sie hergestellt
haben, hätten einen fairen Lohn bekommen. „Geiz ist Geil“, so
sagen wir. Und auch die Reichen sagen sie müssen sparen. – Und deshalb
funktioniert es: die Armen bleiben arm und werden noch ärmer – und die
Reichen verdienen, – weil wir dabei mitmachen.
Drittens: Alle 5
Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren. 37.000 Menschen
verhungern jeden Tag und fast eine Milliarde sind permanent
unterernährt. Dabei könnte, so der World Food Report, die
Weltlandwirtschaft problemlos das Doppelte der Weltbevölkerung ernähren.
Und es gelingt uns Bomben und Raketen in die entferntesten Winkel der
Erde zu bringen, während dort Medikamente, Brot und Reis fehlen.
Millionen Tonnen Lebensmittel werden jährlich weggeworfen – Wenn man es
recht sieht, muss man feststellen: Eigentlich gibt es keinen objektiven
Mangel. Es gibt keine Schicksalhaftigkeit für das tägliche Massaker des
Hungers. Was es gibt, ist der Egoismus der Reichen, Leben auf Kosten der
Armen, mangelnde Solidarität.
Die Armut der Armen ist
zum Großteil gemachte Armut. Und kein Kind müsste, wenn es gerecht
zuginge auf der Welt und wenn wir nicht nur Almosen geben würden,
sondern wirklich teilen, kein Kind müsste verhungern und sterben. – Wir
alle sind zur Besinnung und zur Umkehr aufgerufen. Wir alle müssen
unseren Lebensstil umstellen, und zwar nicht nur ein bisschen! Wenn wir
nämlich immer nur in den anderen diejenigen sehen, die auf Kosten
anderer leben, dann ändert sich nichts.
Liebe Schwestern und
Brüder! Da, wo die Geschäftemacher zur Zeit des Amos noch das Ende
der Feiertage herbeisehnten, damit die Geschäfte wieder laufen, da sind
wir heute längst einen Schritt weiter: Wir haben die verkaufsoffenen
Sonntage. Wir haben Maschinen, die rund um die Uhr laufen müssen – und
die Menschen mit ihnen – damit sie genügend Profit abwerfen. Und wir
haben eine Freizeitindustrie, die keinen Feierabend kennt. Das ist bei
uns längst gang und gäbe.
Und das führt dazu, dass
Menschen aus einer Familie zu so unterschiedlichen Zeiten arbeiten
müssen oder all die Dinge machen müssen, die die Freizeitindustrie ihnen
nahelegt, dass kaum noch ein gemeinsames Familienleben möglich ist –
geschweige denn ein gemeinsames religiöses Leben. Die Zeit, die für
Gott, für die Familie und für die Gesundheit des Menschen geheiligt war,
die wird zur „Geschäftszeit“, in der andere verdienen – und zwar an uns,
weil wir dabei mitmachen. Denn wenn wir da nicht hingingen, nicht
sonntags und nicht nach 18 Uhr, dann wäre da schon längst geschlossen.
Aber weil wir gehen, läuft es so.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Ich weiß das ist kein
schöner Vortrag. Das ist nicht „erbaulich“, geschweige denn „fromm“. Und
sicher haben wir das Gefühl, wir müssten uns irgendwie rechtfertigen:
Was kann ich da schon machen? Ich bin doch kein Ausbeuter! „Wir
müssen ja auch sparen.“ „Wir wollen ja auch unseren Spaß haben“ –
und, und, und …
Aber für Gott ist das ein
wichtiges Thema – auch am Sonntag. Weil es um den Menschen geht, um den
Menschen, der IHM am Herzen liegt: Der Arme! Der, der ungerecht
behandelt wird. Und dem es deshalb schlecht geht, weil die anderen den
armen Lazarus vor der Tür nicht sehen, sondern nur sich selbst. – Für
Gott ist dieses Thema so wichtig, dass er dazu diesen Amos zu den „Guten
und Frommen“ schickt, um sie aufzurütteln, um sie darauf aufmerksam zu
machen, wie ichsüchtig, verlogen und gottvergessen sie leben.
Amos jedenfalls ist davon
überzeugt, dass das, was da vor sich geht in der Gesellschaft, wie man
die kleinen Leute schamlos ausnutzt und betrügt, wie die Würde der Armen
mit Füssen getreten wird, dass all diese Ungerechtigkeit und Willkür zum
Himmel schreit und dem Willen Gottes ganz und gar nicht entspricht, ja
ihm diametral entgegengesetzt ist.
Im letzten Vers der
heutigen Lesung wird eindrücklich geschildert, wie Israel den Zorn
Gottes auf sich gezogen hat. Die Lesung endet nämlich mit dem
Versprechen Jahwes: „Keine ihrer Taten werde ich jemals vergessen!“
– Ein hartes Urteil!
Weil Amos an Gott glaubt,
weil er das ganze Leben von Gott her sieht, darum nimmt er kein Blatt
vor den Mund, darum nimmt er in solcher Schärfe Stellung. Und er kündet,
dass all diese Dinge nicht ungestraft bleiben. Gott, der Herr, macht
sich zum Anwalt der Hilflose, der Schwachen und Armen. Der Herr wird die
„Herren“ zur Rechenschaft ziehen.
Liebe Schwestern und
Brüder!
Das Buch Amos gehört zu
den heiligen Schriften des Judentums und des Christentums. Es ist Wort
Gottes an die Menschen damals, aber auch heute an uns. Es schmiegt sich
jedoch nicht kuschelig unserem Leben an. Es stellt auch Fragen und es
stellt in Frage. Es fordert heraus und ruft zur Umkehr. Es ruft uns
heraus aus alten Gleisen, aus unserem Trott, aus Gewohnheit und
Gleichgültigkeit. Aber es ist immer heilsam und befreiend, auch wenn es
einmal unbequem ist, uns stört, provoziert, aufschreckt und aufweckt.
Mit den Worten des Amos
(an anderer Stelle): „Sucht das Gute, nicht das Böse! Dann werdet ihr
leben und dann wird, wie ihr sagt, der HERR, der Gott der Heerscharen,
bei euch sein.“ (Amos 5, 15) |