Da saß sie, verheult, mit verquollenen
Augen und starrte auf den Herd, auf dem sich der köstliche Hammelbraten
immer mehr in eine schwarze verkohlte Masse verwandelte. Der beißende
Rauch brannte in ihren Augen. Aber sie hatte schon so viel geweint, dass
gar keine Tränen mehr da waren.
Die draußen im Garten schienen nichts zu
bemerken. Offenbar zog der Rauch in die entgegengesetzte Richtung. Ab
und zu erkannte sie die Stimme ihrer Schwester, manchmal auch die ihres
Bruders oder der anderen. Aber es war hauptsächlich seine Stimme, die
sie hörte. Wie stets konnte sie die Worte nicht genau verstehen. Nur der
ruhige warme Klang wehte zu ihr herüber.
Und diese vertraute Stimme war eben ganz
hart und fremd geworden, als er sie vor allen zurechtgewiesen hatte. Wie
hatte er das tun können? Wie hatte er ihr das antun können? Zum ersten
Mal in ihrer langen Freundschaft hatte er eindeutig Stellung gegen sie
bezogen und sich gleichzeitig, was noch mehr schmerzte, gegen sie auf
die Seite ihrer Schwester gestellt.
Warum hatte sie sich auch beklagen
müssen? Vielleicht lag es an der Geschichte, die er gleich zu Anfang
erzählt hatte. Er liebte solche kleinen Beispielgeschichten. Er erzählte
von einer Frau, deren Haus immerzu gleich ordentlich, sauber und
aufgeräumt war, einer Frau, die innerlich wie tot war, die langweilig
war, keine Ideen mehr hatte. Auch wenn sie wusste, dass er nicht sie
gemeint hatte - er hätte sie niemals absichtlich derart verletzt - hatte
sie sich betroffen gefühlt.
Ob er wohl auch nur ahnte, welche Mühe es
gekostet hatte, das Haus während der acht Tage, die er auf sich hatte
warten lassen, so sauber, so frisch und angenehm zu halten? Ihre beiden
Geschwister waren ihr da keine große Hilfe. Ihre Schwester, so
liebenswert sie auch war, hatte die üble Angewohnheit, ihre Sachen
überall zu verstreuen, und der Bruder trug dauernd von draußen Schmutz
mit herein. Aber sie war bereit gewesen, die ganze Zeit. Immer war alles
sauber und einladend gewesen, immer hatte ein Topf mit gutem Essen auf
dem Feuer gestanden. Tag für Tag hatte sie ihn erwartet. Und dann war er
gekommen und hatte ausgerechnet diese dumme Geschichte erzählen müssen.
Und dann hatten sich alle wie üblich
draußen in den Garten gesetzt. Und während er erzählte und die anderen
ihm zuhörten, dachte niemand daran, dass auch sie sich gern mal
dazugesetzt hätte, weil auch sie seine Geschichten liebte wie alles, was
er sagte. Auch ihre Schwester war gar nicht auf die Idee gekommen, ihr
mal ein bisschen zu helfen, damit sie schneller fertig würde. Wie
selbstverständlich hatte man ihr wieder die ganze Arbeit allein
überlassen.
Und da hatte sie eben die Beherrschung
verloren, war hinaus gegangen und hatte etwas getan, was sonst gar nicht
ihre Art war. Sie hatte sich bitter beklagt. Und er hatte ihr nicht etwa
Recht gegeben. Nein, er hatte ihre Schwester auch noch in Schutz
genommen.
Und nun saß sie hier, total verheult, und
empfand eine wilde Genugtuung dabei, wie ihr Braten verkohlte, die
köstliche Suppe verkochte und anbrannte, und wie der beißende Qualm ihre
ganze schöne Ordnung mit hässlichen grauen Schwaden verhüllte.
Und endlich hörte sie, wie die Stimmung
sich draußen veränderte. Aus dem ruhigen Gespräch war das übliche
hungrige Gemurmel geworden, mit dem sie sich nun alle dem Haus näherten.
Maria trat als erste ein. "Im Himmels
willen, was ist denn hier passiert" rief sie und krauste ihr hübsches
Näschen. Sie wollte den Raum sogleich wieder verlassen, aber die anderen
drängten nach, und einer nach dem andern kam herein. So stürzte Maria
voll Eifer an den Herd, und versuchte den verkohlten Braten vom Feuer zu
ziehen, so als wäre da noch etwas zu retten. Aber da war nichts mehr zu
retten. Der Braten war hin. Die Suppe war hin. Alles war verdorben.
"Ach, dann müssen wir uns eben mit Brot
und Käse und Wein begnügen!" rief Maria fröhlich und scheuchte die
anderen munter wieder hinaus. Sie kümmerte sich gar nicht um ihre
Schwester, sondern organisierte mit Eifer ein improvisiertes Mahl. Und
bald saßen alle draußen und aßen und lachten und schienen sie ganz
vergessen zu haben.
Nicht alle. Einer war nicht mit hinaus
gegangen. Einer stand nachdenklich mitten in dem verräucherten Raum. Sie
hatte es gar nicht bemerkt. Erst als er sich räusperte, blickte sie auf
und sah ihn da verlegen und unschlüssig stehen.
Schließlich ging er zum Herd, wo noch
immer die Töpfe mit den verdorbenen Speisen standen.
Er nahm sich einen Lappen: "Meinst du,
wir kriegen das zusammen wieder in Ordnung?"
Und dann schrubbten und scheuerten und
wischten sie gemeinsam, bis alles wieder blitzblank war.
Und dabei sprachen sie über alles
mögliche. Und am Ende war nicht nur die Küche wieder in Ordnung.
© Gisela Baltes |